Der König der Lügen
und ich lasse nicht zu, dass Sie das versauen.«
»Ich bin nicht herablassend gegen meine Schwester.« Ich schrie fast. »Mit liegt etwas an ihr. Sie braucht mich.«
»Ihr Leugnen ändert nichts an den Tatsachen, und sie braucht Sie so nötig wie ein Loch im Kopf. Sie sind so arrogant wie Ihr Vater, und das sieht sie. Sie maßen sich an zu wissen, was sie braucht, als könnten Sie das jemals verstehen, aber die Wahrheit ist: Sie haben nicht die leiseste Ahnung, wer und was Ihre Schwester ist.«
»Aber Sie, ja? Sie wissen, wer meine Schwester ist? Was sie braucht?« Ich war laut geworden. Zorn durchströmte mich, und es war ein gutes Gefühl. Hier war der Feind. Etwas, das ich sehen und anfassen konnte.
»Ja. Absolut«, sagte sie. »Das weiß ich.«
»Und was wäre das?«, fragte ich.
»Nicht das, was Sie wollen. Keine leeren Träume und Illusionen. Keinen Ehemann, keinen Kombiwagen, keinen wöchentlichen Bridgeabend. Nicht den gottverdammten amerikanischen Traum. Dabei ist sie verdorrt.«
Ich starrte in die funkelnden Augen und hätte am liebsten die Finger hineingerammt. Sie sahen zu deutlich, wie ähnlich ich meinem Vater war. Ich hatte Jean nie zugetraut, selbst ihren Weg zu finden, und dass mir die brutale Wahrheit von dieser Frau, die ich kaum kannte, so unverblümt ins Gesicht geschleudert wurde, nahm mir jede Kraft.
»Schlafen Sie mit meiner Schwester?«, fragte ich.
»Das Frage-und-Antwort-Spiel ist vorbei, Sie Arschloch. Verschwinden Sie.«
»Was wollen Sie von meiner Schwester?«, erwiderte ich. Sie stemmte die Fäuste in die Hüften, Muskeln spielten unter ihrer Haut. Das Blut strömte in ihren Hals, und sie schob den Unterkiefer hin und her.
»Sie müssen jetzt gehen«, sagte sie.
»Dieses Haus gehört Jean.«
»Und ich wohne darin! Jetzt verschwinden Sie von meiner Veranda.«
»Erst wenn ich mit Jean gesprochen habe.« Ich verschränkte die Arme. »Ich warte hier.« Alex straffte sich, aber ich wich nicht zurück. Ich hatte mich in den letzten vierundzwanzig Stunden oft genug herumschubsen lassen. Ich wollte meine Schwester sehen, ich musste wissen, dass es ihr gut ging. Ich musste ihr klarmachen, dass ich für sie da war und immer da sein würde. Alex' Gesicht spiegelte Unschlüssigkeit. Dann bewegte sich etwas hinter ihr, und die Fliegentür schwang auf. Jean kam auf die Veranda. Ich glotzte sie sprachlos an.
Ihr Gesicht unter dem zerzausten Haar war bleich und verquollen. Ihre Augen waren rot gerändert und geschwollen.
»Geh einfach, Work«, sagte sie. »Geh einfach nach Hause.«
Dann wandte sie sich ab und war wieder verschwunden, verschluckt von dem muffigen Haus. Alex strahlte triumphierend und schlug mir die Tür vor der Nase zu. Ich legte beide Hände an das Holz und ließ sie dann fallen. Meine Finger zuckten. Ich sah Jeans Gesicht; es schwebte wie Rauch vor mir in der Luft. Ich sah Trauer darin, Mitleid und eine furchtbare Endgültigkeit.
Betäubt und fassungslos kehrte ich zum Wagen zurück und blieb schwankend stehen — ein emotionaler Krüppel. Ich starrte das Haus an, die Erde des Gartens, und ich hörte den Pfiff eines nahenden Zuges. Ich hielt den Atem an, um nicht zu schreien, dann waren nur noch Wind und Donner.
SIEBEN
W er zuletzt lacht — von diesem Lachen hatte ich oft gehört, hauptsächlich von Ezra. Ich hatte nicht gewusst, dass dieses letzte Lachen etwas Reales sein konnte, etwas, das man in Erinnerung behalten und vermissen konnte.
Noch immer konnte ich das Lachen meiner Schwester hören. Es war ein gutes Lachen gewesen, selbst wenn sie den Witz nicht ganz kapiert hatte. Meistens war es leise, und in der Mitte kam ein spezieller Schluckauf. Ein Zucken der Lippen kündigte es an, dann erschienen ihre kleinen weißen Zähne für einen Moment, als wäre sie nervös. Aber manchmal dröhnte es auch, und sie schnaubte durch die Nase. Dieses Lachen kam selten. Ich liebte es, hauptsächlich weil sie nicht mehr aufhören konnte, wenn sie einmal angefangen hatte, und dann liefen ihr die Tränen silbrig über das Gesicht. Als wir Kinder waren, lachte sie einmal so stürmisch, dass sie eine Rotzblase aus der Nase prustete, worauf wir beide so sehr lachten, dass wir dachten, wir müssten sterben, weil wir keine Luft mehr bekamen. Das war das allerbeste Lachen meines Lebens. Und es war bereits fünfundzwanzig Jahre her.
Ich war dabei, als Jean zum letzten Mal lachte. Ich hatte einen wirklich schauderhaften Witz erzählt, irgendetwas mit drei Anwälten und einem Toten.
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