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Der König der Lügen

Der König der Lügen

Titel: Der König der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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der Stärke, das grelle Aufblitzen ihres Willens, was sie getötet hatte, und ich hatte es geschehen lassen.
    In dem Streit war es um Alex gegangen.
    Als ich die Augen schloss, konnte ich den rubinroten Teppich sehen.
    Wir standen oben an der Treppe, auf dem breiten Absatz. Ich schaute auf die Uhr, weil ich Jean und meinen Vater nicht mehr ansehen konnte. Sie bot ihm die Stirn, und eine Explosion stand kurz bevor. Es war vier Minuten nach neun, draußen war es dunkel, und ich erkannte meine Schwester kaum wieder. Sie war nicht das gebrochene Wrack, das die psychiatrische Klinik zu uns zurückgeschickt hatte. Nicht annähernd.
    Mutter stand wie vom Donner gerührt da und presste die Hand vor den Mund. Ezra schrie, Jean schrie zurück und stieß mit dem Finger gegen seine Brust. Es konnte nicht gut enden, und ich beobachtete die Szene mit erstarrtem Blick, wie man ein drohendes Zugunglück beobachtet. Meine Mutter streckte die Hände aus, als könnte sie den heranrasenden Zug mit ihren zehn zarten Fingern aufhalten.
    Und ich tat nichts.
    »Das reicht!«, brüllte mein Vater. »Es bleibt bei dem, was ich sage.«
    »Nein«, sagte Jean. »Diesmal nicht. Es ist mein Leben!«
    Vater trat näher, überragte sie turmhoch. Ich rechnete damit, dass Jean zusammenschmelzen würde, aber sie tat es nicht.
    »Es hat aufgehört, dein Leben zu sein, als du versucht hast, dich umzubringen«, sagte er. « Von diesem Augenblick an war es wieder meins. Du bist gerade erst aus der Klinik zurück. Du kannst unmöglich einen klaren Gedanken über irgendetwas fassen. Wir waren geduldig, wir waren freundlich, aber jetzt ist es Zeit, dass sie verschwindet.«
    »Alex geht dich nichts an. Du hast kein Recht, mich darum zu bitten.«
    »Damit eins ganz klar ist, junge Dame: Ich bitte dich nicht. Diese Frau bedeutet Ärger, und ich erlaube nicht, dass sie deinen Kopf durcheinanderbringt. Sie benutzt dich nur.«
    »Wozu denn? Ich bin nicht reich. Ich bin nicht berühmt.«
    »Du weißt, wozu.«
    »Du kannst es nicht mal aussprechen, nicht wahr? Zum Sex, Dad. Ja. Zum Sex. Wir ficken die ganze Zeit. Was wirst du dagegen unternehmen?«
    Vater war plötzlich sehr ruhig. »Du bist eine Schande für diese Familie. Es ist abscheulich, wie ihr beide euch benehmt.«
    »Da hätten wir's ja«, sagte Jean. »Es geht überhaupt nicht um mich. Es geht nur um dich! Es ging immer nur um dich! Na, mir reicht's.«
    Jean wandte sich ab und wollte gehen. Sie sah mich nicht an, sah meine Mutter nicht an, wandte sich nur ab und tat einen einzigen Schritt. Dann packte Ezra sie. Er riss sie so heftig zurück, dass sie auf die Knie fiel.
    »Du lässt mich nicht einfach stehen! Niemals!«
    Jean raffte sich auf und machte ihren Arm los. »Das war das letzte Mal, dass du Hand an mich gelegt hast«, warnte sie ihn.
    Es war, als gefror der Augenblick. Jeans Worte hingen zwischen den beiden. Ich sah die nackte Verzweiflung im Gesicht meiner Mutter, und ihre Augen blickten mich flehentlich an. Aber der Schatten meines Vaters hielt mich in seinem Bann, was Mutter gespürt haben muss.
    »Ezra«, sagte sie.
    »Du hältst dich da raus«, befahl er, und sein Blick blieb auf Jean gerichtet und verhieß Gewalt.
    »Ezra«, wiederholte sie und tat einen monumentalen Schritt auf ihn zu. »Lass sie in Ruhe. Sie ist jetzt erwachsen, und sie hat recht.«
    »Und ich habe dir gesagt, du sollst die Klappe halten!« Er ließ Jean nicht aus den Augen, und als sie sich wieder abwenden wollte, packte und schüttelte er sie - ein wütender Junge und eine Puppe ohne Knochen, aber Jean hatte Knochen, und ich fürchtete, sie würden brechen. »Ich habe gesagt, du sollst mich nicht einfach so stehen lassen!« Dann grunzte er nur noch unverständlich, und Jeans Kopf schlenkerte locker auf dem Hals hin und her. Ich sah, wie Mutter die Hölle in die Hände nahm.
    »Lass sie in Ruhe, Ezra.« Sie riss an seinem massigen Arm. Jean war jetzt völlig schlaff, aber er schüttelte sie weiter. »Verdammt, Ezra!«, schrie sie. »Lass meine Tochter in Ruhe!« Sie hämmerte mit ihren kleinen Fäusten auf seine Schultern, und Tränen blinkten in den Falten ihres Gesichts. Ich wollte mich bewegen, wollte etwas sagen, aber ich war wie gelähmt. Dann schlug er zu - ein Schlag mit dem Handrücken, ein Schlag wie in Zeitlupe, und dann fiel sie. Die Zeit schien stillzustehen, aber sie stand nicht still, und dann lag Mutter regungslos zusammengesunken am Fuß der Treppe -auch sie eine knochenlose Puppe in dem Haus, das mein

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