Der König der Narren
Sei nicht kindisch. Im Grunde weißt du längst, dass es kein Siridom m ehr gibt. Es ist bereits vom Nichts verschlungen worden, ehe du Kading betreten hast. Du hast dir d och nic h t v o rge m acht, dass es in der Ebene von Kenfra langsa m er wachsen würde als anderswo, oder ? «
»Aber dieses Kleid«, protestierte Res. »Nur eine W eberin von Siridom kann den Stoff gewebt haben, und du hast es für m ich anfertigen lassen, also m uss es noch ganz neu sein.
Versuche ni cht m i r ei nz ureden, dass es aus der Zeit s t am m t , ehe du Zeitzauber über Kading verhängt hast.«
Ohne sich zu rühren, mur m elte die Fürsti n : »Ach ja, das Kleid. Res, dachtest du denn, du wärst die erste W eberin von Sirido m , die ihre Stadt v e rläs st ?«
»Höchstens ein m al in drei Generation weigert sich ein Lehrling, Weberin zu werden, und keine von ihnen hat je…«, begann Res m i t dem vertrauten Satz und stockte.
»Das hat m an dir dein L eben lang eingeredet«, sagte die Fürstin in behutsa m e m Tonfall, »da m it du nicht auf falsche Ideen ko mm st. Alle Herrschenden wissen, dass m an Kindern die richtigen Lektionen erteilen m uss. Nun, es h a t W eberinnen gegeben, die es nach Kading verschlug, aber anders als du hatten sie n i cht den Mut, es wieder zu verlassen. U nd ich habe s i e und ihre Nachkom m e n sehr nützlich gefunden.«
Sie lügt, dachte Res, und d e m Gedanken folgte ein zweiter: Sie spricht die Wahrheit.
»Vergiss di ese eng s tir n igen Leute. Hat deine Mutt e r dich je v e rstanden? Hat sie dich nicht dein Leben lang eingesperrt? Hat sie dich nicht nach ihrem Bild for m en w o llen und nie verstanden, warum du dir etwas anderes gewünscht hast? A b er ich verstehe dich, Res. Du weißt, dass ich dich verstehe. Nie m and in ganz Phantásien versteht dich so gut wie ich. Lass m i ch dei n e Mutter s ein. Du brauchst kei n e andere m ehr. Lass m ich deine F r eundin sein. Wer sonst könnte dir das Gleiche bieten wie ich? Du brauchst keine anderen Freunde m ehr. Und Phantásien…«
Sie hob ihren Kopf wieder und presste ihre W ange gegen die von Res. »Ich bin unsterblich, Res. Ich habe schon viele Gefahren ko mm en und g e hen sehen, die Phantásien befielen. Die Kindliche Kaiserin findet immer einen Retter. Es m a g im letzten Augenblick geschehen oder noch in einem frühen Sta d iu m , wenn jeden gerade die ersten Angstschauer überfallen haben, aber sie findet je m anden. Und so Leid es m ir tut, dir das sagen zu m ü ssen: Du b i st es n i cht. Du bist noch nicht ein m al diejenige, die ihn holen kann. Du, m eine Liebe, bist schon lange nicht mehr reinen H erzens. Das Tränenblau steht dir übrigens a us gezeich n et, aber das w u sste ich sch o n vorher.«
Res riss sich los, und die Fürstin brach erneut in perlendes Gelächter aus.
»Du siehst reizend aus, wenn du e m pört bist. Nun, Res, wenn die Kindliche Kaise r in ihren Rett e r gefunden hat, dann wird Phantásien sich erneuern. Und dann wird endlich geschehen, was schon vor über tausend Jahren hätte geschehen s o llen. W ährend der Rest von Phantásien noch da m it beschä f tigt s ein wird, den neuen Retter zu feier n , werden du u nd ich d ie H errsc h aft ergreifen. W ir mögen nicht reinen Herzens sein, aber wir wissen, was notwendig ist. W as getan werden muss. Mach dir keine S orgen wegen der Kindlichen Kaiserin. Für sie gelten wir alle gleich. S i e wird nie m anden da r an hindern, die Macht auszuüben, die sie sel b st nicht ha b en will.«
Sie deutete auf das Bild, das i h nen der u m geklappte Deckel der Truhe zurückwarf. »So wird uns ganz Phantásien sehen. Sie werden auf die Knie fallen und darum bitten, uns dienen zu dürfen. Du wirst nie m ehr einen Verlust erleiden, du wirst nie m ehr Furcht spüren oder dich irgendje m andem beugen müssen. Nie m and wird so sein wie du.«
»Außer dir«, stellte Res f est.
»Außer m ir«, bestätigte die Fürstin, und ihre klaren Augen sprühten siegesgewiss.
Res konnte es vor sich sehen, so deutlich wie jetzt ihr Spiegelbild. Eine Zukunft, in der sie und die Für s tin sich in einem endlosen Tanz zu zweit durch die Zeit bewegten. A nders als Yen Tao-tzu m it seinen Grübeleien und seiner F l ucht in den W ahn würde sie ihre Schuldgefühle rasch abstreifen können. Sie verspürte jetzt schon Ungeduld m it ihnen. Und sie würde nicht allein sein. Die Fürstin hatte es versprochen, und sie war eine Tyrannin, aber keine L ügnerin.
Einer der S chatten, die hinter der Truhe
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