Der König der Narren
schließlich wusste sie nic h t, wie die Landschaft hier nor m alerweise aussah. Dann sträubte sich das Fell der Katze gegen den Flugwind.
Mach kehrt! Mach auf der Stelle kehrt! Es ist das Nichts!
»Teppich, flieg in die andere Richtung«, sagte Res sofort, doch sie selbst wandte sich noch ein m al u m . Das Grau der Felsen ging am Horizont in etwas über, das ihren Augen weh tat. Es w ar nicht schwarz wie die Glasberge in der Nacht; es gab ihr das Gefühl, blind zu sein, und m ehr noch: Sie spürte den W ind nicht m ehr, wenn sie in diese Ric h t u ng schaute, sie spürte w eder Kälte n och W ä r m e; es war, als wäre sie selbst ein Teil des Nichts.
Etwas kratzte sie am Bein. R e s fuhr zusa mm en. Der Horizont wurde zu einem i m m e r hin vorhan d enen Grau, das rascher und rascher schwand. Schaudernd wandte sie sich wieder nach vorne und at m ete erleichtert auf. Dort ra gt en zwar nur w eitere Klip p en e m po r , aber im m e r hin beruhigend solide und zweifellos vorhandene Klippen.
Es ist nicht gut, da zu lange hineinzustarren, s agte d i e Katze. Ich hätte nicht gedacht, dass es schon hier ist. Wir bleiben doch in dieser Richtung, nicht wahr?
»Nein. Du weißt doch, dass wir Kading erreichen m üssen.«
Du musst Kading erreichen, antwortete d ie Katze. Ich muss nur so weit wie m ö glich vom Nichts e n tfer n t sein.
Der Sühneträger, dessen langes Haar wirr im W i nd flatterte, m i schte sich ein. » W eint nicht d i e Nachtigall? W inde schlafen. I m Hain von Kading.«
»Kennst du Kading ? «, fragte Res überrascht.
»Kennen, trennen, benennen, rennen. Fliehen. Verziehen.«
Gib es auf, kom m entierte die Katze. Du wirst nie etwas Sinnvolles aus dem da herausbringen. Im Übrigen brauchst du ihn nicht. I c h kenne Kading, das habe ich dir schon einmal gesagt. Ich weiß, wie man hineinkommt.
»Erst ein m al m üssen w i r überhaupt dorthin gelangen«, sagte Res und zog eine Gri m asse. Bei dem st ändigen Zickzackkurs, den sie eingesc h l a g en hatte, war es im m er schwerer ge worden, sich zu orientieren. Und es verlangsa m te ihr V orankom m e n. Sie dachte an das schreckliche Gefühl beim Anblick des Nichts und ballte die Hände, als s ie sich vorstellte, w ie es sich S i ridom näherte, wo ihre Mutter und Pallas hilflos waren. Dann fragte sie sich, wo Kunla und seine Fa m ilie s ich wohl be f inden m ochten. Sie hatt e n den El f enbeint u rm gewiss noch nicht erreicht; m it all dem Gepäck konnte der Tross nicht sehr schnell vorankom m en. Aber Kunlas Vater wus s te zu m i ndest, welche Phantasier einem h e lfen konnten und welche m an meiden sollte. Anders als sie. Hoffentl i ch gelang es Kunla, dafür zu sorgen, dass sein Vater auch tatsächlich zum E l fenbeinturm zog.
Haruspex lag schließlich hinter ihnen, und m it d e m Land au c h das Felsgestein. Soweit es sich von hier oben erkennen ließ, befand sich unter ihnen eine riesige Ebene, die Res an das Meer von Ansalon erinnerte; bläulich und wellig, m it kleinen dunklen Punkten dazwischen. Zuerst fürchtete sie, dass sie einen Fehler ge m acht hatte und tat s ächlich an die See zurückgeke hr t war, deswegen befahl sie dem Teppich, tiefer zu fliegen.
Aus größerer Nähe ließen sich Unterschiede zum Meer aus m achen, und R es war erleichtert. Dort unten lag kein W asser; der bläuliche E i ndruck rührte von dem Gesträuch her, das die Ebene überzog und Tausende von glockenfö r m igen Blüten hervortrieb. Je tiefer der Teppich sank, desto deutlicher sah Res, dass die Blüten keineswegs rein blau, sondern vielmehr eine Mischung aus B lau und Lila waren, die sie an etwas erinnerte. Sie nagte an ihrer Unterlippe.
»Sassafrani s ches In d ig o «, rief s ie, als es ihr en d l ich wieder einfiel. Es war eine Farbe, die ihre Mutter besonders gern verwendet hatte, und sie spürte beinahe die weiche Wolle unter den Fingern, die aus den wattigen Blüten gewonnen wu r de. Sassafranisches In di go stand für W eisheit und Entschlusskraft.
Der Sühneträger hatte sich wie Res über den Teppichrand gebeugt, um den Boden in Augenschein zu neh m e n, doch er verlor das Gleichgewicht und stürzte kop f über in das Blau hinunter.
»Teppich, ihm nach, fang ihn auf!«
Wozu, be m e rkte die Katze, während der Teppich Res gehorchte, aber dies m al waren sie wesentlich tiefer, und den Mann noch einzuholen, in der kurzen Zeit bis zum Aufprall, schien un m öglich. Der Teppich legte sich so schräg, dass R es sich flach gegen seine
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