Der König der Narren
länglichen B l ättern m it ihren sichelför m igen Enden ausgehen, die sie ein wenig an die Augen des Sühnet r ägers erinnerten. Sie nahm den Zweig m it der W ollblüte, den er i h r gegeben hatte, und brach eines der Blätter ab. Eine weißliche Flü s sigkeit strö m t e aus dem Stengel, die schnell hart wurde, und der Geruch wurde stärker. Er war nicht unangenehm, nur sehr deutlich. Sie nahm den Zweig in die rechte Hand und wurde sich plötzlich be w usst, dass ihr kleiner Finger unter dem zerrissenen Verband nicht m ehr so wehtat. Der Zweig übte wohl eine ähnliche W i rkung wie der Seetang aus.
Das Gesträuch teilte sich, und sie standen einem Mann m it schlohweißem Haar unter einem geflochtenen Sonnenhut gegenüber, der einen ähnlichen Korb wie Res auf den Schultern trug. E s überraschte sie nicht, d ass sein Korb m it den blau e n W ollblüt e n ge f üllt war, aber sein Verhalten verblüffte s i e. Er starrte sie an, klatschte in die Hände wie der Sühneträger vorhin und rief:
»Gerjo, Gerjo, wir haben fr e m den Besuch!«
Eine junge, hohe Stimme antwort e te aus den Feldern: »Dann sei artig, stell dich vor und frage, um w e n es sich handelt.«
»Verzeihung«, sagte der Sassafranier zerknirscht zu Res. »Ehrenwerter Besuch, ich b i n Lavan, Gerjos Sohn. Darf ich Euren Na m e n erfahre n ?«
»Res, aus S i rido m . Tochter der W e berin Krin«, entgegnete Res, im m er noch verwundert, weil ihr Gegenüber wie ein Greis aussah und sich wie ein Kind verhielt. Als sein Blick auf ihre Hand m it d e m verstüm m elten Finger fiel, riss er die Augen auf, und sie barg die Hand unwillkürlich in ihrem Rock.
»Und der junge Mann in Eurer Begleitung? W i e lautet sein Na m e ? «
Dummkopf, warf die Katze ein. Gemeingefährlicher Narr tut es auch. Aller d ings sch e int mir der da a uch nicht v e rnünfti g er.
»Ich kenne seinen Na m e n nicht«, antwortete Res. » W ir… sind uns zufällig be g egnet, und, nun ja, er ha t ihn m ir noch nicht v erraten.«
»Oh, und ich dachte, Ihr wäret sei n e Mutter«, sagte der Sassafranier.
Das bestätigt e s . Noch ein Verr ü ckter. Du kannst den Kerl hierlassen, da i s t er in g u ter Gesellsch a f t.
Res war noch dabei, sich den K opf wegen einer Antwort zu zerbrechen, als sich das Ge s träuch er n eut teilte und ein kleines Mädchen auftauchte, das aussah, als sei es e t wa zehn Jahre alt. Es hatte blonde Haare, d i e Res im ersten Mo m ent f ü r weiß hi e lt, so h e ll w aren s ie, und trug eine ernste Miene zur Schau.
»Sie kom m t aus Sirido m , Gerjo«, sagte der Sassafranier aufgeregt,
»wie unser Teppich dahei m . Der Mann ist aber nicht ihr Sohn. Und sie heißt Res.«
Das Mädchen begrüßte Res m it ge m essener Stim m e und fügte hinzu: » W ir warten schon lange a u f den nächsten Tross aus Sirido m ; die Ernte staut sich in unseren Hallen.«
»Ich gehöre nicht zu einem Tross«, erklärte Res verlegen, »doch ich fürchte, ich weiß, warum er noch nicht hier ist. Aber d a s ist e i n e lange Geschichte.«
»Dann lasst uns zu m i r nach Hause gehen«, er w i derte das kleine Mädchen, »denn ich möchte sie hören, und«, fuhr sie mit ein e m leichten Schmunzeln fort, »ich kann m i r vorstell e n, dass auch Ihr Fragen habt.«
Auf dem Weg durch die Felder erfuhr Res, dass die Sassa f ranier alt geboren wurden und jung starben. Zuerst hielt sie das nur für seltsam und interessant, bis Gerjo ihr m ehr erzähl t e. Als Sassafranier erwachte man anscheinend gebrec h lich, alt und hilflos im Haus seiner Eltern. Je jünger, kräftiger und vernünftiger m an wurde, desto m ehr wurden die Eltern, ohne ihre Weisheit zu verlieren, zu Kleinkindern, die kaum m ehr sprechen konnten. Irgendwann war es dann so weit, dass sie als Säuglinge in eine E r d m ulde gebettet werden mussten.
»Meine Mutter schrie herzzerr e ißend, und ich begrub sie bei lebendigem Leib, wie alle m eines Alt e rs, wie es unser Brauch verlangt und wie es m ein Sohn bei m i r tun wird. Am nächsten Tag war dann m ein Sohn a uf der W elt. Das ist der Fluch, unter dem wir leben.«
Das W ort »Fluch« m einte Gerjo buchstäblich. »Es ist die Schuld der Fürstin von Kading«, sagte sie. »Sassafranien war ihr früher Untertan. Aber wir erhoben uns gegen sie, und bei diesem Aufstand starb i h re g esa m te Familie, nur s i e nic h t. Ehe sie d i e Sch u tzzauber wirkte, die Kading nun durch die Zeit wandern lassen, schwor sie, dass wir alle gleich ihr erleben sollten, wie m
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