Der König der Narren
Üb e rreste des T eppichs aus, da m it sie die schlim m sten Sch ä den begutachten konnte. Einige der Löcher waren riesi g . Aber es war nic h t l ä nger eine kaum behebbare Katastrophe, ein unüberwindlicher Schaden.
Während sie die ersten Fäden z w ischen den Löchern spannte und feststec k te, kniete s ich Yen Tao-tzu neben sie. »Ich weiß i mm er noch nicht, was geschehen ist«, sagte er mit gesenkter Stim m e.
»Das«, gab Res fest zurück, »ist deine Angelegenheit. Meine ist es zu tun, was in m einer Macht steht.«
Er ergriff ihre rechte Hand. Res spürte einen alten Sch m erz, als er ihren verstümmelten kleinen Finger b e rührte, und fragte sich, ob sie, falls der Teppich m it den Ausbesserungen nicht m ehr flog, noch ein Fingerglied opfern m usste. Oder ob der Zauber nur in der Nähe der Leonesen gelang. Sollte das stim m en, dann hatte sie zum ersten Mal einen Anlass, sich zu wünschen, d a ss ihre Verfolgerinnen sie wieder aufspürten. Sie glaubte nicht, dass die beiden lange in Kading bleiben würden. Selbst wenn sie es nicht fertig brachten, die Stadt durch den Spiegelsee zu verlassen, würde ihnen früher oder später der Einfall kommen, ein Bündnis m it der Fürstin zu schließen. Mit der Fürstin, die Res ihrerseits nichts Gutes w ünschte.
Aber sie wusste nicht, ob sie sich noch ein m al überwinden könnte, ein Fingerglied zu opfern. In der Wüste hatte sie nicht lange darüber nachgedacht, und sie hatte nicht ge w usst, wie weh es tun würde. Inzwischen war sie n u r allzu vertraut m it dem Sch m erz.
»Hast du m e ine Geschichte nicht verstanden, Res ? «
Sie löste ihre Hand aus der von Yen Tao-tzu, nicht heftig, aber bestim m t . »Ich habe verstanden, dass m an für seine Träu m e manch m a l bitter bezahlt, ja. Aber das wusste ich schon vorher. Es gibt einem nicht das Recht, sich nur noch um sich selbst zu küm m ern.«
»Du bist jung«, sagte er sachte. »Noch so jung.«
Als das erste Loch s i ch all m ählich m it Fäden füllte, fragte er en d lic h : » W ohin willst d u n un als Näch s tes gehe n ?«
»Es bleibt nur noch der Elfenbei n turm, oder? Wenn ich Recht habe und nicht du, wenn die Kindliche Kaiserin also bereits nach dir geschickt hat, wird sie froh sein, dich zu sehen. Die Macht d es Glanzes stam m t von ihr. Sie kann deinen W unsch umkehren und dir auch deine restlichen Erinnerungen zurückgeben.« Ihre Sti mm e klang auch in ihren eigenen Ohren sehr kalt, als sie hinzufügte: »Und du wirst m it m i r gehen, Yen Tao-tzu. Täusche dich nicht, du wirst m it m i r gehen, und wenn ich dir den ganzen Flug über einen Dolch aus Fenelin-Silber an die Kehle halten muss.«
»Das wird nicht nötig sein«, entgegnete Yen Tao-tzu würdevoll,
»und du beschä m st dich selbst, wenn du zu solchen Drohungen herabsinkst. A ber was du planst, ist sinnlos. Man begegnet der Goldäugigen Gebieterin der W ü nsche nur e i n einziges Mal in seinem Leben. Ich habe das zu m einer und vieler anderer Schaden zu spät entdeckt. Wenn du m i t m ir den Elfenbeinturm bet r ittst, wird sie nicht dort sein. Und wo im m er sie ist, wird sie n i c ht m ehr weilen, sob a ld wir ihr d ahin folgen.«
Res spürte, dass er nicht log, doch sie sagte stur: »Aber dein altes Leben ist in den Fl a mmen der Zeit verbrannt. Du hast ein neues Leben, und so kannst du ihr noch ein m al begegnen.«
Eine seiner Hände legte sich an sein Kinn, was si e an die Zw erge erinn e rte, w enn sie an ihren Bärten zup f en wollten. Dann f iel ihm wohl auf, dass er keinen langen Bart m ehr hatte, nur Stoppeln, weil sie ihn seit der Zeit in Kading nic h t m ehr rasiert hatte, und er ließ die Hand wieder sinken. »Vielleicht h a st du Recht«, m einte er nachdenklich, »doch vielleicht auch nicht. W as, wenn du dich irrst ? «
Sie zog einen weiteren F aden nach. »Dann habe ich es zu m i ndest versucht.«
»Es«, begann er, stockte, räusperte sich und begann von neue m :
»Es gibt noch einen anderen W eg.«
» W elchen ? « , fragte Res, ohne aufzublicken.
»Der Alte vom W andernden Ber g e«, sagte Yen Tao-tzu heiser.
Res ließ die Nadel sinken, die sie in der Hand hielt. Jedes Kind in Phantásien wurde, wenn es unartig war, m it der Drohung ins Bett geschickt, der Alte vom W andernd e n Berge sc h reibe alles auf, was ein jeder tue. Alles, gut oder s c hlecht, sogar Gedanken und Gefühle. Einen Herzschlag lang war ihr äußerst unbehaglich zu m ute. Mit dem nächsten durchströ m te sie Erl e ichterung,
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