Der König der Narren
ging es gut. A llen Bewohnern von Siridom ging es gut. Vielleicht hatte der Ges a ndte der Kindlichen Kaiserin schon längst das Mittel gegen das Nichts entdeckt, und sie wusste es nur noch nicht. Selbst wenn Yen Tao-t z u sich nie m als an den Rest erinnern würde, gab es noch Hoffnung, m usste es sie geben. Wenn aber… wenn. W enn. W enn.
Ein Schatten fiel auf sie. Sie scha u te auf und s ah, wie sich Yen Tao-tzu neben sie ans F euer setzt e . »Lasst m ich«, begann er m it seiner tiefen, bedächtigen Stim m e, » e ine Geschic h te erzählen, eine Geschic h te aus m einer Hei m at.«
Die Vogelleute blickten ihn voller Staunen und E hrfurcht an. Geschic h ten zu erzä h len g a lt üb e r a ll in Phantásien a ls schwieri g ste u n d edelste aller Künste. Dass ihr ehe m aliger Sühneträger dazu i m stande war, verblüffte sie fast so sehr wie der U m stand, dass er sich als der Verlore n e Kaiser h e rau s gest e llt h a tte. Res schaute in die s pärlich e n Flam m en.
»Es war ein m al ein Mann na m ens An Lu-schan. Er stammte nicht aus m einer Hei m at, d e m Reich der Mitte; er kam von jenseits der Großen Mauer, die uns von den ü b rigen Reichen trennt. Dennoch gelang es ihm, d e m Heer des Herrn über zehntausend Jahre, unseres erhabenen Kaisers, beizutreten. Mehr noch, er stieg in diesem Heer auf und gewann nicht nur die Gunst des Sohns des Him m els, sondern auch die der bezaubernden Yang Kuei-fei, die in ihren Lotoshänden das Herz des Kaisers trug. Aber An Lu-schan war noch nic h t zufrieden.«
Wann sind das Menschen je?, fragte die Katze, doch nur Res hörte sie.
»Er nahm sein Heer und m arschi e rte auf die östliche Hauptstadt, Lo-yang, und weil er ein großer Gen e ral war und viele in der Bevölkerung ihn verehrten, eroberte er die Stadt. Der Herr über zehntausend Jahre musste fliehen. Mehr no c h, auch die westliche Hauptstadt, Ch’ang-an, lag den Kräften An Lu-schans offen. Doch das Schicksal ist ein Rad, das sich dreht, und im Augenblick seines größten Triu m phes erblindete An Lu-schan und w urde von einem Sklaven m it der Hilfe seines eigenen ält e sten Sohnes u m gebracht.«
W ider W illen hatte Res sich in die Geschichte hinein z iehen lass e n und war entsetzt. Guin schnalzte e m pört m it der Z unge.
»Dass Lo-yang sich An Lu-schan ergeben und ihn unterstützt hatte, verzieh der Sohn des Him m els der Stadt nie, und auch seine Nachfolger hielten an diesem Groll fest. Nie m and wün s chte sich m ehr, in Lo-yang zu leben, Lo-yang, die doch zu den ältesten und schönsten P erlen des Reiches gehörte.«
»Ich dac h te, es wäre eine Stadt?«, fragte Lo sichtlich verwirrt; Guin stieß ihn m it dem Ellenbogen in die Seite und bedeutete ih m , e r möge still sein.
»Jahre später gab es einen Mann in L o-yang, der sehr genau wusste, was er wollte. Er b eherr s chte d ie Sechs Künste, wie es Meister K’ung e m pfahl, doch er wollte m ehr. Er hatte einen erfinderischen Geist, m üsst ihr wissen, und sah d i e Welt nicht so, wie sie war, sondern so, wie sie sein sollte. Eines Tages besuchte er die Höhlenklöster von Lung- m en, in der Nähe seiner Hei m atstadt, und betete. ›Lass m i ch‹, betete er, ›etwas erfinden, das m i ch auf einen Schlag zum berüh m testen Mann des Reiches m acht, da m it sich die Menschen für im m er meiner erinnern. Gib m i r ein e n Einfall, der dafür sorgt, dass der Herr des Himmels wieder Lo-yangs gedenkt, nicht als einer verfluchten Stadt, nicht als einer S t adt, der m an ein A l m osen zukom m en lassen m uss, nein, als der Stadt, der er etwas verdankte‹.«
Die Katze, die ihre Maus verzehrt hatte, gesellte sich zu ihnen. Nachdem sie Res beäugt und offenbar entschieden hatte, dass Res’ Rock noch feucht und da m it kein guter Sitzplatz war, ließ sie sich auf dem Boden nieder. O nein, be m erkte sie. Ich spüre es komm e n. Eine Geschichte mit Mor a l. Ich hasse Geschichten mit Moral. Sie sind ganz und gar unkätzisch:
»Nachdem e r seine Gebete beendet hatte, hörte er die Stim m e eines Mönches aus dem Inneren der H öhle sprechen. Der Mönch, raunte m an sich zu, war nicht irgendeiner, sondern der Sohn eines Fuchsgeistes m it zauberischen und hellseherischen Kräften. ›Du bittest nicht für Lo-yang‹, verkündete er, › du bittest für dich selbst. Auf d i r ruht der Fluch von An Lu-schan. So höre denn: Du wirst eine Erfindung m achen, welche die W elt veränd e rn wird. Aber du selbst wirst das Schic ks al An Lu- s
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