Der Koenig geht tot
die Moni gar nicht verdient. Nutzt die erstbeste Gelegenheit und geht fremd!« Dann schaute Max mich plötzlich fragend an. »Warum wollte er denn dann Schützenkönig werden? Kannst du mir das erklären?«
»Nun, wahrscheinlich hatte er tatsächlich vor, seine Frau zurückzugewinnen. Da war es doch eine ganz phantastische Idee, sie zur Schützenkönigin zu machen.« Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen und geriet ins Schwärmen. »Wenn ich an diesem Wochenende etwas gelernt habe, dann ist es, welche Bedeutung das Schützenfest im Sauerland hat. Gibt es etwas Großartigeres, als einmal an der Spitze des Dorfes zu marschieren und die Schützenkette um den Hals zu tragen? Da spart man doch gerne, um seiner Frau ein teures Kleid zu spendieren und sie zur Königin zu machen. Oder gibt es etwas Erstrebenswerteres, als die Schützenfahne tragen zu dürfen, noch dazu in Uniform? Ich kann es mir kaum vorstellen. Ein Posten als Fähnrich hat sicherlich viele Arbeitsstunden gekostet, glaubst du nicht? Aber all das ist nichts gegen ein Pöstchen im Vorstand. Denk nur, du darfst die Jahreshauptversammlung leiten oder das Geld ausgeben, das die lieben Schützenbrüder das Jahr über eingezahlt haben. Ist das nichts?«
Max blickte hoch und sah mich ärgerlich an. »Weißt du was? Deine selbstgefällige und arrogante Art kotzt mich an. Es mag ja sein, daß du als Pauker es als unter deiner Würde betrachtest, dich solchen ehrenamtlichen Tätigkeiten hinzugeben, aber, Gott sei Dank, gibt es welche, die das anders sehen.« Ich blickte Max verwirrt an. So aufbrausend hatte ich ihn noch nie erlebt.
»Wenn ich etwas nicht ausstehen kann, dann ist das diese abartige Oberlehrerarroganz. Die habe ich in meinem Leben zur Genüge erfahren. Man braucht nicht mitzumachen beim Schützenfest, ganz klar. Aber sich darüber lustig zu machen ist eine andere Sache. Weißt du was? Ich kann mir vorstellen, daß es für jemanden wie Bernhard Schnell eine Freude ist, die Schützenfahne zu tragen. Bernhard Schnell ist Staplerfahrer bei Osterfeld. Den ganzen Tag macht er nichts anderes als Paletten von einem Ort zum anderen zu fahren. Dafür dankt ihm keiner, dafür lobt ihn keiner. Er fährt einfach und macht seine Arbeit. Kannst du dir nicht vorstellen, daß es für ihn toll ist, einmal im Jahr ganz andere Aufgaben zu übernehmen? Aufgaben, die für ihn wichtig sind? Wobei Leute zuschauen und ihm zuwinken und ihm für seine Tätigkeit in der Schützenbruderschaft danken? Ich kann es mir vorstellen.«
»Max, jetzt reg dich doch nicht so auf!« versuchte ich zu beschwichtigen. »Ich hab doch nur–«
»Du hast dich eben nur lustig gemacht!« unterbrach Max mich wütend. »Mein Vater hat sich auch immer nur lustig gemacht. Er hat auch nur immer seine Ironie und seinen Sarkasmus eingesetzt, ohne zu wissen, wie verletzend das sein kann. Er hatte dasselbe Scheiß-Oberlehrer-Verhalten wie du.« Max kam jetzt fürchterlich in Fahrt. Mir war klar, daß er die Ebene einer sachlichen Diskussion längst verlassen hatte. Er trug da etwas anderes aus, etwas, das vielleicht durch das Zusammentreffen mit Christoph Steinschulte aufgebrochen war.
»Wir haben in Stichlingsen gewohnt. Wir haben dort gewohnt, ja, aber meinst du, mein Vater wäre in der Lage gewesen, auch nur einen vernünftigen Satz mit den Leuten im Dorf zu wechseln? Oh nein, er wußte schon, wo er hingehörte, unser Herr Studiendirektor für Physik und Mathematik. Klar, die Natur und die Ruhe des Dorfes sind ja ganz nett, aber den ganzen Rest, die Menschen zum Beispiel, muß man ja deswegen nicht so ernst nehmen. Wir wissen ja, wo wir stehen. Übrigens, unser Sohn Maximilian studiert jetzt Jura. Er hat die Prüfungen natürlich vorgezogen. Sein Professor hat ihm schon jetzt geraten, seine Doktor-Arbeit bei ihm zu schreiben. Unser Maximilian, ja, da darf man ganz große Hoffnungen haben. Der macht seinen Weg. Der weiß, was er will. Der will nach ganz oben.« Max’ Stimme war jetzt regelrecht schrill geworden. »Aber leider läuft das Leben nicht immer so, wie man sich das vorstellt. Es läuft einfach nicht immer so, verstehst du?« Max blickte mich verzweifelt an.
»Ich habe eine Zeit erlebt, in der ich nicht mehr ein noch aus wußte, wo ich Eltern gebraucht hätte, die mir zuhören können, die mich bedingungslos unterstützen, denen alle Äußerlichkeiten egal sind. Aber die gab es nicht für mich. In dieser Zeit habe ich gemerkt, welche Menschen wirklich ein Gefühl für die wichtigen
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