Der Koenig geht tot
die Feuersirene los. Daniel, der in der ersten Reihe direkt vor dem Pult saß, griff gelangweilt nach dem Klassenbuch. Alle standen auf und schlenderten zur Tür. Es war bereits der fünfte Feueralarm in diesem Monat. Seitdem die Feuermeldeanlage ausgetauscht worden war, spielte das System verrückt. Inzwischen kannte ich sämtliche Rettungswege aus allen Gebäudeteilen auswendig.
»Daniel, du gehst als erster Richtung Getränkeautomaten, von da aus nach draußen, keiner überholt oder rennt! Ich gehe als letzter. Denkt immer dran: Es könnte auch ein echter Alarm sein.« Ich konnte es den Kindern nicht verübeln, daß sie losprusteten. Lennart wollte noch seinen Walkman holen, doch ich trieb ihn mit in den Flur.
»Wenn’s brennt, kannst du auch nicht zurücklaufen, um in Ruhe Musik zu hören.«
»Wenn’s brennt!« Lennart schnaubte. »Wenn’s brennt, glaubt’s eh keiner mehr!«
Unterwegs trafen wir die restlichen Klassen aus dem Flur. Ein fröhliches Gegacker entstand. Neben mir lief Roswitha Breding, meine Chemie- und Biokollegin.
»Diesmal kommt der Alarm gar nicht so schlecht!« flüsterte sie mir zu. »Ist doch ein ganz netter Einstieg in die Woche!«
Auf dem Schulhof war mächtig was los. Einige Lehrer standen an den Ausgängen, um zu verhindern, daß die Schüler den Schulhof verließen, bevor Entwarnung gegeben war. Kollege Sondermann rannte umher und versuchte, ein paar Schüler vom Fußballspielen abzuhalten. Ich stellte mich mit meiner Klasse zu Leo, der mit seinem Trupp gerade aus der Sporthalle gekommen war. Mein Sportkollege Leo, ein drahtiger Typ mit einem Lockenkopf und einer herausragenden Nase, hatte mir im Frühjahr den Einstieg als Lehrer sehr erleichtert.
»Wie ich hörte, ist in Stichlingsen am Abend noch ein Unfall passiert«, sprach er mich jetzt an.
»Falls es denn ein Unfall war«, sagte ich achselzuckend. Ich erzählte, daß ich selbst zu denen gehört hatte, die Wilfried König sterbend gefunden hatten. »Die Kripo ist an dem Fall dran. Sie untersuchen, ob Fremdverschulden im Spiel gewesen sein kann.«
»Das gibt’s doch gar nicht!« stieß Leo aus. »Jetzt bist du erst seit einigen Monaten hier und hast schon zum zweiten Mal mit einem Mordfall zu tun.«
Ich verdrehte die Augen. Es war nämlich auch Leo gewesen, der mich damals dazu überredet hatte, den Tod meines Vorgängers am Elli zu untersuchen. Ich konnte nicht gerade sagen, daß ich das Bedürfnis verspürte, weitere Fälle in Angriff zu nehmen. Ich winkte daher ab.
»Nein nein, Leo. Erstens ist noch gar nicht klar, ob tatsächlich an dem Unfall etwas nicht in Ordnung war. Zum anderen habe ich kein Interesse, mich nochmal als Detektiv aufzuspielen. Es waren gestern zwei Kripobeamte da, die den Fall sicherlich zu aller Zufriedenheit bearbeiten werden.« Ich kam mir vor wie ein Pressesprecher, der ein paar pöbelnde Journalisten abfertigen will. »Übrigens ist einer der beiden ein alter Kumpel von Max. Er wirkt ganz pfiffig und wird die Sache schon in den Griff bekommen.«
»Ein Kumpel von Max? Das ist ja hochinteressant«, erklärte Leo. »Dann seid ihr ja ganz dicht an der Polizeiarbeit dran.« Ich kam kaum noch dazu, die Augen zu verdrehen, weil in diesem Moment Schwester Wulf hilde zu uns stieß.
»Ich finde es ja ganz großartig, daß Sie sich schon so gut bei uns eingelebt haben«, zwitscherte sie. »Man soll es ja nicht für möglich halten, daß Sie als Rheinländer bereits in einem Schützenverein engagiert sind.«
»Nicht wahr, Schwester Wulfhilde?« Leo war ganz der liebenswerte Kollege. »Ich bin sicher, unser lieber Herr Jakobs wird im kommenden Jahr gar den Vogel herunterholen.«
»Worauf du dich verlassen kannst!« grunzte ich. »Allerdings bestehe ich darauf, daß du zusammen mit Schwester Wulfhilde den Hofstaat anführst.« Leo lächelte süß.
»Aber ich glaube, wir halten unseren engagierten Sportkollegen auf, flötete ich mit Augenaufschlag in Richtung Wulfhilde., »Der unermüdliche Herr Brussner hat eben erklärt, er wolle die Zeit des Feueralarms nutzen, um mit seiner Sportgruppe einen Langlauf in den Wald bis zur Antoniuskapelle zu unternehmen. War es nicht so, Leo?«
»Genauso ist es!« zischte Leo zwischen den Lippen hervor. Er wandte sich an seine Schülerinnen: »Los, Leute! Jana, Steffi! Wir setzen uns in Bewegung!« Ein unvorstellbares Stöhnen setzte ein. Einige protestierten lautstark, verstummten aber, als sie Schwester Wulfhilde neben ihrem Sportlehrer stehen sahen. Dann setzte
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