Der Koenig geht tot
Dinge des Lebens haben. Dazu gehörten zum Beispiel mein Sandkastenfreund Peter Baumüller und seine Familie. Ich habe damals ganze Nächte in Baumüllers Küche verbracht. Wir haben geredet und geredet, und sie haben mir geholfen, diese Zeit so einigermaßen durchzustehen. Peters Vater ist Erster Vorsitzender des Schützenvereins, Jupp Baumüller. Es ist der, der im Moment mit einem Rückenleiden flach liegt. Jupp Baumüller ist einer von denen, die sich für alles und jeden einsetzen, die immer ansprechbar sind, wenn im Dorf Hilfe gebraucht wird. Vielleicht kannst du jetzt verstehen, warum ich es nicht ausstehen kann, wenn man sich über Menschen wie ihn lustig macht.«
Ich kam nicht dazu, eine Antwort zu geben. Denn in diesem Moment klingelte ein Handy in Max’ Jacke. Er griff in seine Tasche und drückte einen Knopf. Er wirkte überrascht über den Anrufer und erzählte dann jemandem von den Ereignissen des Tages. Ich holte in der Zwischenzeit eine Tüte Salzstangen. Aufmerksam wurde ich erst wieder, als Max das Gespräch abschloß: »Aber klar doch, Jupp! Mach ich. Ich komme morgen vorbei.«
Trotz aller Niedergeschlagenheit mußte ich grinsen, als Max sein Handy in die Tasche steckte. Mein Kumpel blickte fragend.
»Ist es nicht wunderbar, das Sauerland?« fragte ich und nahm einem Schluck Wein. »Wir sind das verknüpfteste Internet, das die Welt zu bieten hat. Und das allerbeste daran: Wir brauchen noch nicht mal Computer dazu!«
6
Als ich am nächsten Morgen durch den schuleigenen Park Richtung Hauptgebäude schlurfte, mußte ich noch einmal an Max denken. Nach dem Telefongespräch war seine Offenheit vorbei gewesen. Trotz einiger Nachfragen kein Wort mehr über jene Zeit, da es ihm so schlecht gegangen war. Er brauchte halt Zeit, der Max. Irgendwann würde er vielleicht den letzten Schritt tun und auch den Rest herauslassen. Doch es war offen, wie lange das noch dauern würde. Mit einem Blick auf die Uhr entschied ich kurzerhand, vor der ersten Stunde gar nicht erst ins Lehrerzimmer hinaufzugehen, sondern mich sofort auf den Weg in meine erste Klasse zu machen, die 9b. Meine Zeitplanung war an diesem Montagmorgen wieder einmal nicht gerade üppig ausgefallen. Aber es gab noch etwas anderes, das mich davon abhielt, der geballten Kollegenschaft schon um diese Uhrzeit zu begegnen. Ich konnte einfach gut und gerne darauf verzichten, schon in den frühen Morgenstunden auf mein Mitmarschieren im Hofstaat von Stichlingsen angesprochen zu werden. Mit einem Blick in die Zeitung hatte ich mich zwar davon überzeugt, daß ich nicht etwa auf einem Foto abgebildet war, aber ich war sicher, daß einige Leute dafür gesorgt hatten, daß mein Auftritt nicht gerade eine Geheimaktion blieb. Die Zeitung hatte natürlich den Todesfall im Zusammenhang mit dem Stichlingser Schützenfest groß herausgebracht. Schützenkönig Dirk und Königin Elke gingen in ihren schicken Klamotten ziemlich unter.
Punkt acht Uhr stand ich vor der Tür. Der Lärm von innen war nicht zu verachten. Ich holte nochmal tief Luft und verabschiedete mich endgültig vom Wochenende. Diese letzten Tage vor den Sommerferien waren in der Regel nicht gerade das, wovon man vor seiner Lehrerlaufbahn immer geträumt hatte. Die Zeugniskonferenz war letzte Woche schon gelaufen, die großen Unterrichtsreihen für gewöhnlich beendet, die Motivation bei strahlendem Sonnenschein und geöffneten Freibädern auf dem Tiefpunkt. Blieb also fröhliches Unterrichten bis zum Feriencountdown. Als ich die Tür öffnete, wurde es schlagartig still. Einen Moment später begann ein neuer Krach. Irgend jemand hatte einen Cassettenrekorder mitgebracht, aus dem laute Blasmusik erscholl. Die Schüler kringelten sich. »Wir dachten, Sie stehen auf so was!« brüllte Steffen aus der letzten Reihe und ahmte einen Paukenspieler nach.
»In der Tat, allerdings nur am Wochenende!« konterte ich und stellte die Musik ab. »In der Woche gehe ich nach wie vor meinem Nebenjob nach und unterrichte euch!«
»Können wir heute nicht Eis essen gehen?« fragte Carola genervt. »Die Konferenzen sind doch eh gelaufen.«
»Das heißt aber nicht, daß es für euch nichts mehr zu lernen gibt«, verkündete ich freudestrahlend. »Zum Abschluß des Schuljahres werden wir uns ein paar moderne Gedichte ansehen und–«
»Wir müssen noch beten!« unterbrach Angela mich.
»Und nicht nur das«, antwortete ich. »Soviel ich weiß, haben wir uns noch gar nicht begrüßt.«
Genau in diesem Moment ging
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