Der Koenig geht tot
sich der Trupp in Bewegung. Es waren die Mädchen der 10c, die ich in Deutsch hatte. Ihr Aussehen ließ darauf schließen, daß Sport nicht ihr Lieblingsfach war, vor allem, weil es Frisur, Piercing und Schminke ernsthaften Gefahren aussetzte. Ihr Tempo war bahnbrechend. Wie eine Kuhherde tuckerten sie hinter Leo her, gackerten empört über diese unglückliche Wendung, nachdem der Unterricht beinahe flachgefallen wäre, und versuchten, auch beim Laufen möglichst nicht ins Schwitzen zu geraten.
»Ist es nicht schön zu sehen, daß man aus jeder Situation doch noch einen Nutzen ziehen kann?« philosophierte Schwester Wulf hilde. »Eine gelungene Abwechslung solch ein Dauerlauf durch Gottes schöne Natur! Vielleicht sollten Sie sich auch auf den Weg machen! Es wäre doch zu schade, wenn Ihr beliebter Unterricht ausfallen müßte. Soviel ich weiß, ist im Park noch der Pavillon frei. Ihre Schüler werden darauf brennen, Ihrem Unterricht gewissermaßen unter freiem Himmel zu folgen.«
Eigentor.
Klassisch.
Selbstverschuldet.
»Aber natürlich, Schwester Wulfhilde!« trällerte ich. »Eine Gedichtreihe ›Open-Air‹ ist das, was mir schon immer insgeheim vorschwebte. Gibt es etwas Schöneres, als einem modernen Gedicht zu lauschen, während nur durch das Pavillondach verdeckt eine weiße Federwolke vorbeizieht und an die Unendlichkeit des Himmels gemahnt?«
Schwester Wulfhilde strahlte. »Ist es nicht schön, Herr Jakobs, daß wir in so vielen Dingen einer Meinung sind?«
7
Max fühlte sich einfach nicht wohl in seiner Haut. Es überkam ihn nicht zum ersten Mal der Gedanke, daß er einen Fehler gemacht hatte, als er Jupp Baumüller eine Zusage gegeben hatte. Natürlich konnte er verstehen, daß Jupp gerne jemanden in der Krisensitzung haben wollte, der ihm nachher genau Bericht erstatten konnte. Aber hätte das nicht genauso jemand von den Vorstandsmitgliedern machen können? Man wurde den Gedanken nicht los, daß Jupp seinen eigenen Leuten nicht recht traute und mit Max lieber einen unabhängigen Beobachter da haben wollte. Dabei war es gar nicht so einfach für ihn gewesen, Max in die Krisensitzung reinzubekommen. Natürlich hatten die anderen groß geguckt, daß Max, der mit der Schützenbruderschaft ja nun gar nichts zu tun hatte, teilnehmen sollte. Aber dann hatten sie sich doch zurückgehalten, wohl Jupps wegen, und hatten zugestimmt, daß Max, sozusagen als Jupps Vertreter, anwesend sein durfte. Max schaute sich um. Zumindest vom Sehen kannte er die meisten Anwesenden. Da war Alfons Reckert, der Zweite Vorsitzende, der schon wieder eine Birne hatte, als würde er gleich einen Herzinfarkt kriegen. Dann Jürgen Hebel, der Kassenführer des Vereins, der vor eineinhalb Jahren im Ort gebaut hatte. Max kannte ihn nur von zwei Taxifahrten her. Das einzige, was ihm jetzt an Jürgen Hebel auffiel, waren seine Schuhe. Er trug weiße College-Schuhe, dieselbe geschmacklose Sorte, die Max bei einem Bochumer Zahnarzt gesehen hatte, bei dem er vor Jahren in Behandlung gewesen war. Ganz offensichtlich gab es die Modelle heute immer noch.
Neben Jürgen Hebel hockte Kurt Wiesner, der wahrscheinlich das Amt des Schriftführers bekleidete. Jedenfalls hatte er sich schon Zettel und Stift bereitgelegt, um bei der Sondersitzung mitschreiben zu können. Außerdem saß Dirk Beierle da, der Schützenkönig, der eigentlich an diesem Montag morgen hätte abgelöst werden sollen, wenn da nicht dieser tragische Zwischenfall gewesen wäre. Dirk sah nicht gerade aus, als sei er in Hochform. Sein Gesicht war blaß und die Augen nur ein paar Millimeter weit auf. Ganz offensichtlich hatte er sich am Tag zuvor etwas übernommen. Passend zu seinem verschlafenen Auftreten hatte er die Königskette falsch rum umgehängt. Die klimpernden, goldfarbenen Orden hingen ihm auf dem Rücken.
Offensichtlich waren immer noch nicht alle da, obwohl es bereits fünf nach zwölf war. Dann öffnete sich noch einmal die Tür und ein weiterer Offizier trat ein, Rudi Winkler. Er war so alt wie Max und mit ihm zusammen in die Grundschule gegangen. Er setzte sich neben zwei Offiziere, die Max nicht namentlich kannte.
»Ich mußte den Frauen noch die Container ranziehen«, erklärte Rudi. »Das hätten die alleine nicht geschafft.«
In der Tat war eine Gruppe von bestimmt fünfzehn Frauen damit beschäftigt, die Schützenhalle zu putzen. Aus diesem Grund hatte man sich in den Eßraum zurückgezogen. Hier blinkte es schon, als hätte gar kein Schützenfest
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