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Der König ist tot: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Der König ist tot: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: Der König ist tot: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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hatten.
    Als die Nonnen, denen die Soldaten all ihre Vorräte geraubt hatten, bei Caballero ihren Hunger klagten, sagte er nur: ›Ihr habt kein Brot mehr? Dann eßt Steine.‹
    Längst schon waren Pferde, Katzen und Hunde aufgegessen. Jeder hielt noch einen kleinen Vorrat Korn versteckt, aber wehe, wenn er damit zur einzigen Mühle der Stadt ging – die Soldaten rissen ihm die Körner aus den Händen und verschlangen sie ungemahlen. In den Spitälern, die sich mit immer mehr verwundeten oder kranken Soldaten füllten, wurde die Suppe immer dünner, und als es nur noch Wasser gab, fraßen sie ihre Strohsäcke.
    Die Neugeborenen starben an den versiegten Brüsten der Mütter. Es gab keine Familien mehr, Vater, Mutter, Kinder stritten wie wilde Hunde um die erbärmlichste Nahrung. Bald ließ man die Kinder nicht mehr aus den verbarrikadierten Häusern, damit sie nicht entführt, getötet und gebraten würden. Die Straßen waren übersät mit röchelnden Skeletten, und wer noch aufrecht ging, tastete sich wankend an den Wänden entlang, um nicht zu fallen. Über der ganzen Stadt lag Verwesungsgeruch, nur wenige verließen noch ihre Häuser, und wer es tat, hielt sich mit seinem Schnupftuch die Nase zu. Zum Glück wurde kein Fall von Pest gemeldet.
    Zu Beginn der Belagerung, als die Spanier noch auf ihren Beinen stehen konnten, hatten sie mehrere Ausfälle durch ihr größtes Tor versucht. Deshalb bauten wir davor eine Redoute.«
    »Was ist eine Redoute, Monsieur?«
    »Eine Redoute ist ein befestigtes Bauwerk, viereckig, mit verstecktem Eingang, nur auf einer Seite gezinnt und mit Kanonen besetzt, die auf das Haupttor einer belagerten Stadt zielen, um die Feinde an einem Ausfall zu hindern.«
    »Versuchten sie es trotzdem?«
    »Nur bevor die Redoute stand. Doch auch da hatten sie große Verluste, und wir machten Gefangene, die sich unverhofft als die glücklichsten Menschen fühlten.«
    »Warum das?«
    »Weil La Meilleraye ihnen die gleichen Rationen gab wie unseren Soldaten. So daß sie am Ende der Belagerung besser genährt waren als am Anfang.«
    »Und wo befand sich der König?«
    »Er hatte sich in Saint-Estève einquartiert, bei einem Bauern namens Joan Pauques, dessen Hof darauf hochberühmt wurde samt dem Dorf, das sich von nun an el Mas del Rey nannte.«
***
     
    Dort überbrachte ich dem König nahezu täglich die Geheimberichte über die Belagerung, die Marschall de La Meilleraye für ihn verfaßte. Ob im Haus oder auf der Terrasse, je nachdem ob die Tramontana blies oder nicht, lag der König auf einem Feldbett. Sein Zustand hatte sich verschlimmert, doch er klagte nicht. Er hatte starke Leibschmerzen und Fieber, das man mit dem Chinin der Jesuiten bekämpfte, der einzigen Arznei, die ihm Erleichterung verschaffte. Oft sagte er, es mache ihm nichts aus, ob er hier oder in seinen Palästen sterbe, was mich schließlich auf den Gedanken brachte, daß er, im Gegenteil, mit aller Kraft wünschte, seinen letzten Seufzer im königlichen Dekorum des Louvre zu tun, anstatt in einem schlichten Bauernhaus. Doch er wollte nicht fort, sagte er, bevor Perpignan nicht kapituliert hätte und ohne die Genugtuung, daß er Spanien das Artois und das Roussillon entrissen habe. Indessen ging es ihm stetig schlechter. Er kannte keine Zeiten der Besserung mehr wie noch vor einem Monat, als er noch zur Jagd geritten war. Er verbrachte seine Tage auf seinem Feldbett und konnte kaum etwas zu sich nehmen. Doch wies er die eindringlichsten Bitten seiner Entourage zurück, doch lieber in seine Kapitale heimzukehren, wie ich schon sagte. Ich besuchte ihn nun täglich. Dabei kam es ihm mehr auf meine Gegenwart als meine Unterhaltung an. Nach langem Schweigen verlangte er einmal, ich solle ihm von seinen Feldzügen sprechen, in Italien, vor La Rochelle, in Lothringen, im Artois und jetzt im Roussillon. Natürlich kannte er alles viel besser und berichtigte, nicht ohne Vergnügen, meine Irrtümer. Ich fand es ziemlich ergreifend, wie er derweise eine Bilanz seines Lebens zog und sich bei einem seiner Untertanen versicherte, daß es nicht vergeblich gewesen sei und daß er Frankreich stärker gemacht und vergrößert habe.
    Erst als die Natur ihr Machtwort erhob, rang er sich den Entschluß ab, nach Paris heimzukehren. Der Monat Juni entfalteteeine solche Glut, daß er sich der ihm ungewohnten Hitze nicht gewachsen fühlte und das Lager aufzuheben beschloß. Ich gehörte zu jenen, die seine Karosse in ihren eigenen begleiteten. An den

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