Der König ist tot: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Burg kapitulieren muß und daß es besser wäre, ihre Kapitulation abzuwarten, anstatt Männer umsonst zu opfern. Da ein so beträchtlicher Teil der Mauer zerstört ist und die spanische Flotte vollauf zu tun hat, sich der Angriffe der unseren im Mittelmeer zu erwehren, sollte verhandelt werden, scheint mir.«
»Meine Herren Generalobersten«, sagte La Meilleraye, »der Herr Herzog von Orbieu, der kein Generaloberst ist, hat uns soeben eine treffliche Lektion in militärischer Strategie erteilt. In der Tat, wieso, zum Teufel, sollen wir angreifen? Wozu sollen wir unsere Männer unnütz ins Feuer schicken? Die Frucht ist reif. Man muß nur abwarten. Sie wird uns von selbst in den Schoß fallen.«
Und wirklich erbot sich am nächsten Tag der Befehlshaber der Burg, Marqués de Mortare, mit uns zu verhandeln. Monsieur de La Meilleraye beauftragte mich, mit ihm Rücksprache aufzunehmen. Die erste Begegnung war kurz. Der Spanier verlangte für die Kapitulation den Mond. Ich lehnte ab und schlug ihm unsere Bedingungen vor. Sie sollten ihre Kanonen lassen, wo sie waren, und mit Sack und Pack ungehindert aus der Burg abziehen dürfen, doch ohne vor ihrem Abzug etwas zu zerstören oder zu verbrennen. Wenn sie gegen diese Bedingungen verstoßen sollten, würden sie verfolgt und niedergehauen. Der Marqués versuchte noch zu feilschen, doch ich verschloß mich wie eine Auster, und nachdem er seine Rede geendigt (und Gott weiß, wie sehr die spanische Sprache zur Beredsamkeit neigt), wiederholte ich trocken unsere Bedingungen, indem ich hinzusetzte, wenn er länger diskutiere, ließe ich die Hunde los.
Da beugte er sich und äußerte eine letzte Bitte. Wenn die Seinen durch die Stadt abzögen, verlangte er, sollten unsere Soldaten sie nicht mit Schmähreden überziehen und demütigen. Und so kam es, daß der Marqués und seine Soldaten eine Stunde darauf zwischen zwei Hecken die Burg verließen, die aus unseren Schweizern gebildet waren, gewissenhaften und höflichen Soldaten, denen es nicht einmal im Traum in den Sinn käme, besiegte Feinde zu verspotten.
Nachdem Collioure von unseren Soldaten besetzt war unddie spanische Mittelmeerflotte von der unseren in Schach gehalten wurde, stand Perpignan ohne Versorgung da. Und die einhellige Meinung des Königs und der Marschälle war, daß wir, sobald die Stadt von unseren Truppen umzingelt wäre, nur mehr abzuwarten brauchten, bis der Hunger die Einwohner besiegt hätte. Es war dies die reine Vernunft, die nur wenige Menschenleben, zumindest auf unserer Seite, kosten würde, denn unter den beiden belagerten Völkern würde der Hunger allerdings grausam wüten.
***
»Monsieur, warum reden Sie von ›den beiden Völkern‹? Ich sehe nur eins.«
»Nein, nein, schöne Leserin. Wohl bestand die Garnison der Stadt aus Spaniern, eine mit Musketen, Kanonen, Pulver und Lunten vorzüglich ausgestattete Garnison. Aber die Stadt war in der Mehrheit katalanisch.«
»Was hatten denn die Katalanen dort zu suchen?«
»Sie waren vor den Spaniern geflüchtet, die ihnen ihre Freiheiten beschnitten und sie mit Steuern erdrückt hatten. Man kann mit Fug sagen, daß die Spanier dafür kämpften, Perpignan dem spanischen König zu erhalten, während die Katalanen von Herzen wünschten, daß die Franzosen siegten.«
»Und wer befehligte die spanische Garnison?«
»Zwei Männer. Der eine, Flores de Avila, war ein Hildalgo aus guter Familie, menschlich, freigiebig, ebenso sanftmütig wie sein Name. Der andere, Diego Caballero, der brutal alle Macht an sich riß, war ein rücksichtsloses und blutrünstiges Vieh. Um die spanischen Soldaten auf seine Seite zu bringen, ließ er ihnen die Zügel schießen, indem er ihnen, wie er es nannte, ›Gewis sensfreiheit ‹ gab. Diese ›Gewissensfreiheit‹ bestand darin, daß sie ungestraft vergewaltigen, Häuser plündern, groß und klein malträtieren und schlagen durften. Ebenso mißachtete Caballero die Konsuln der Stadt, und als sie sich widersetzten, schwor er, wenn sie darin beharrten, würde er die Sturmglocke läuten lassen, was für seine Soldaten das Signal war, sämtliche Einwohner hinzuschlachten. Und das hätten sie getan, dessen bin ich sicher, so über jede Menschlichkeit hinaus, wie sie schon waren. Stellen Sie sich vor, wenn die Kinder morgens zur Schule gingen, hielten die Soldaten sie an, setzten ihnen ein Messer an die Kehleund zwangen ihnen so den Brotkanten ab, den die Eltern ihnen als einzige Nahrung für den Tag mitgegeben
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