Der König muß sterben
nicht, für sie war dieses Tun gottgefällig. Aber Henri musste sich hinter einer Tür des Kreuzganges erbrechen.
Ist dieses Spiel mit körperlichen Überresten nicht – unsittlich?, dachte er. Und in einem neuen Anfall von würgendem Ekel, während gelblich grüner Schleim aus seinem Magen hervorbrach, wusste er, dass er Clemens unbedingt gleich töten musste. Er konnte nicht warten. Diese Sache musste zu Ende gebracht werden, koste es, was es wolle. Denn lebend oder tot übte dieser Papst, wie überhaupt die Kirchenfürsten in Frankreich, eine unsinnige Macht aus. Sie beherrschten das gesamte Fühlen und Denken der Menschen! Ihre Macht war grenzenlos! Und sie war nicht gottgegeben! In dieser irdischen Fülle konnte sie nicht gottgefällig sein! Sie maßten sich diese Macht nur an!
Henri dachte: Der Herr steh mir bei, aber eigentlich sind sie genauso erbärmlich, sterblich und hinfällig wie jeder andere Mensch auch! Dass man ihnen am Ende das Fleisch von den Knochen kocht, macht sie in meinen Augen nicht bedeutender. Nur erbärmlicher in ihrem frevlerischen Bemühen, zur Reliquie zu werden.
Weg mit diesem Papst!, dachte Henri angewidert. Weitergehende Gedanken untersagte er sich. Er wollte nicht denken: Weg mit allen Kirchenfürsten, die uns das Himmelreich predigen und sich zugleich im Irdischen mit Macht und Prunk umgeben, als wären sie unsterblich. Nein, diesen Gedanken konnte er vor sich selbst nicht zulassen, denn für sein eigenes Seelenheil brauchte er den Glauben, die Liturgie und die Kirche.
Der Attentatsplan auf seinen höchsten, geistlichen Vater bereitete ihm Gewissensqualen genug. Wenn er sich den Mord vorstellte, war es ihm, als packe ihn eine eiskalte Faust an der Gurgel und schnüre ihm die Luft ab. Clemens war einmal so etwas wie sein Vater gewesen, und er hatte ihn als seinen Herrn geliebt! Aber er musste es dennoch tun. Weg mit Clemens, weg mit dem Verräter!
Wenn ich es überlebe, was wahrlich nicht sicher ist, dachte er, dann ziehe ich irgendwohin. Ans Nordmeer! Wo ich frei atmen kann! Wo einfache Leute, hart arbeitende Fischer, Bäcker, Gemüsebauern den Ton angeben!
Er fragte einen der Ordensbrüder, einen sanft blickenden Mönch mit feinen Gesichtszügen, nach Gottfried von Wettin. Man sagte ihm, der Bruder aus Regensburg werde erst in zwei Tagen erwartet.
Henri verließ den Konvent, in dem jetzt auch Clemens residierte, nicht, bevor er sich den Grundriss des mächtigen Gebäudes eingeprägt hatte. Er fertigte sich mit einem Kohlestift eine geheime Zeichnung an. Und als er sie gemacht hatte, begriff er, dass der Papst, wie eine Spinne im Netz, in einem Octagon saß. Seine Räume im Obergeschoss des Palastes, die man vom jetzt schon blühenden Kreuzganggarten aus sehen konnte, waren umgeben von achteckigen Klausurgebäuden, Wehrgängen und Wachräumen sowie vergitterten Fenstern hinter Spitzbogenblenden wie ein kostbarer Schatz, der von allen Seiten bewacht wurde.
In Gedanken verloren ging Henri aus dem Palast hinaus in die Stadt. Die Sonne blendete ihn. Noch immer war es früher Morgen, nur wenige Händler, Marktweiber und Handwerker bevölkerten die engen Straßen. Wie sollte er es schaffen, an Clemens, diesen bewachtesten aller Zeitgenossen, heranzukommen? Dieser Gedanke allein nahm alle seine Aufmerksamkeit in Anspruch.
Er rief sich den Palast in Erinnerung. Er war eine perfekte Verteidigungsanlage, wie geschaffen für einen Menschen, der sich darin, als sei die Welt voller Todfeinde, einmauern wollte. Er hatte gesehen, dass alle Wehrgangböden so senkrecht zu den Mauern durchbrochen waren, dass eine Verteidigung der darunter liegenden Wandflächen mit ihren hohen Fenstern durch Steinwürfe und Güsse mit heißem Pech von oben möglich war. Henri hatte solche Verteidigungsanlagen schon in ähnlicher Form an provencalischen Wehrkirchen gesehen. Die Mönche rechneten seit den Anfängen ihrer Missionszeit, wo es andauernd Scharmützel gegeben hatte, offenbar dauerhaft mit Krieg.
Ein deprimierender Gedanke nahm von Henri Besitz. Ein einzelner Mann kam nicht durch diese Abwehrfront.
Oder vielleicht überhaupt nur ein einzelner Mann!
Musste der Mörder des Papstes nicht sein wie ein Schatten, der gestaltlos durch das Schlüsselloch ging und danach aus dem Sterbezimmer körperlos wieder verschwand – ohne die geringste Spur zu hinterlassen?
Er musste sich unbedingt mit dem Wettiner beraten, der als Dominikaner stets Zugang zum Palast hatte. Er wusste seit ihrer ersten Begegnung,
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