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Der König muß sterben

Der König muß sterben

Titel: Der König muß sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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abschließbaren Kommodenschrank. Dann holte er sein Reittier von der Straße und stellte es im Stall eines konvertierten Muslimen unter, der ihm einen guten Preis nannte.
    Als er am Abend durch Avignon ging, fielen ihm farbenprächtige Festlichkeiten auf. Überall zogen Verkleidete durch die gerade gesäuberten Straßen. Am Domplatz tanzten barfüßige Gestalten mit grotesken Masken auf den Schultern in blauen Federkostümen, aus denen rote Bänder wie Flammen zu schlagen schienen, zur schrillen Musik der Pfeifen. Henri versuchte sich zu erinnern, welcher Tag war. Der Tag des Anselm. Es war kein besonderer Namenstag, aber vielleicht machten die Bewohner der Stadt Avignon, in deren Mauern der Herr über Leben und Tod der Templer regierte, jeden Tag zu einem besonderen Tag.
    Vielleicht taten sie es, um sich zu erfreuen. Vielleicht, um zu vergessen.
    Henri ging ziellos umher. Der Abend war mild. Die Brise verscheuchte den ständig gegenwärtigen Geruch nach Aborten und Sickergruben. Er genoss es, unerkannt zu sein und einfach nur schauen zu können. Morgen würde er damit beginnen, den Mordplan zu schmieden. An diesem einen Abend wollte er versuchen, das Leben in seiner einfachsten Form zu genießen. Er wusste ja nicht, wie lange er es noch konnte.
    Henri de Roslin ließ sich am Rande eines kleinen, sauberen Kirchplatzes gebratene Fleischstücke schmecken, die von einem jungen Lamm stammten, dazu trank er einen Becher dünnes, gewürztes Bier. Er beobachtete Kinder, die mit Hunden herumtollten, und eine Gruppe von Musikanten, die in Richtung der Stadtmauer zogen. Dann bemerkte er, dass immer mehr Menschen in diese Richtung gingen. Als er sich ausgiebig gestärkt hatte, schlug er ebenfalls diesen Weg ein.
    Etwas war im Gange. Er begriff es, als er jetzt die Menschenmenge sah, die den Weg vom nordwestlichen Haupttor, der Porte des Champeaux, zum Dominikanerpalast säumte.
    Er fragte einen Bewohner, und der erwartungsfroh aussehende Mann, der einen roten Schal trug, erklärte: »Der Papst kehrt zurück. Dann gibt es immer ein hübsches Schaugepränge.«
    Henri war irritiert. Clemens hatte sich also gar nicht in Avignon aufgehalten!
    Er fragte: »Geschieht es öfter, dass der Papst nicht in seiner Residenz ist?«
    »In letzter Zeit immer öfter. Der Heilige Vater ist hochempfindlich, er zieht es vor, dem Baulärm auszuweichen und auf die Burg der befreundeten Ritter in Roquemaure zu ziehen. Aber jetzt besucht er uns einmal wieder.«
    Roquemaure! Wo lag das? Henri überlegte, was diese Nachricht für seinen Plan bedeutete. Vielleicht war es einfacher, Clemens auf dem Weg nach Roquemaure zu überfallen! Oder ihm dorthin zu folgen. Vielleicht war die Bewachung auf einer kleineren Burg nicht so streng.
    Henri reckte den Hals und sah jetzt eine Prozession näher rücken. Ein Schaubild aus Menschenleibern stellte etwas dar. Wieder befragte er den Einwohner. Der Mann sah ihn belustigt an.
    »Ihr wisst anscheinend gar nichts, wie?«
    »Ich bin nur ein armer Sünder, der kleine Geschäfte tätigt.«
    Gönnerhaft meinte der Mann: »Der Papst wird empfangen von vierzehn Jungfrauen, die in dem Schaubild die Gaben des Geistes und der Gnade darstellen. Es ist so üblich. Damit wird die gerechte Herrschaft ausgedrückt.«
    »Aha!«
    »Natürlich! In einem anderen Bild – Ihr könnt es auf der Straßenseite gegenüber sehen – wird König Philipp gezeigt, wie er diese Fähigkeiten in Gegenwart von zwei Richtern und sieben Verteidigern, die vor ihm sitzen, ausübt. Papst und König, versteht Ihr!«
    »Ich verstehe. Und was bedeutet dieser Weinbrunnen mit den Zweigen und künstlichen Früchten?«
    »Nun, es ist eben das Symbol für die Wirkungen dieses Königtums. Der Weinbrunnen und der Baum drücken ja auch den Stammbaum Philipps aus, der mit dem Baum Jesse verbunden ist.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja! – Ihr seid wohl fremd in der Stadt?«
    »Sehr fremd.«
    Beim Näherkommen der Prozession begriff Henri jetzt, dass die Darstellung mit einer Anspielung auf die göttliche Natur des Königs schloss. Denn sie zeigte Salbung und Krönung auf einem Thron, der in einem himmlischen Paradies stand, umgeben von Engeln, und Gott selbst erschien und sprach mit dem König.
    Welche Anmaßung, dachte Henri. Sein aufrechter Glaube weigerte sich, solche Hoffart hinzunehmen. Und der Papst, der jetzt unter einem roten Baldachin in die Straßen einritt, duldete es, weil er nur durch König Philipp den Thron des Stellvertreters Gottes auf Erden erklommen

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