Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der König muß sterben

Der König muß sterben

Titel: Der König muß sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
Vom Netzwerk:
verwenden, um das Rote Pulver zu machen. Ich kann mir schon vorstellen, was er mit dem Wachs ohne Rauch meinte, aber das muss so verdünnt werden, dass es aus einer Phiole tropft. Und was ist der letzte Zusatz?! Lass uns sofort zu meiner Herberge gehen.«
    Uthman hatte ein ganzes Kellergeschoss angemietet, das vorher einem Schneidearzt und Bader gehörte. Darin standen breite Tische, und im Hintergrund hatte Henri, der seit gestern hier untergeschlüpft war, sogar eine abgebaute eiserne Jungfrau entdeckt. Sie war jetzt verhängt. Als Uthman seine fragenden Blicke sah, hatte er gesagt:
    »Ich weiß, es ist ein grauenvolles Foltergerät. Aber ich fühle mich sicher im Angesicht solch schrecklicher Marterinstrumente eurer allerchristlichsten Geschichte. Ich habe dann das Böse immer vor Augen und kann es durch Blicke bannen.«
    Jetzt meinte Henri ungeduldig: »Lass uns dein Brevier anschauen.«
    Uthman kramte aus seinen Ledertaschen ein unscheinbares Buch, dessen Rücken sich schon abzulösen begann. »Es ist ein sehr altes arabisches Buch, allerdings ins Lateinische übersetzt«, sagte der Sarazene, »ich benutze es ständig.«
    »Wie heißt es?«
    »De Mercuriis.«
    »Ah!«
    »Mal schauen…«
    Während der Sarazene blätterte und las, schaute sich Henri noch einmal verstohlen in dem Gewölbe um. Es ähnelte wirklich eher einer Folterkammer als einem Wohnraum. Besäße es Öfen, könnte man es sich auch als Aufenthaltsort eines Alchemisten vorstellen, dachte Henri. Er wunderte sich erneut darüber, dass sich Uthman an solchen Orten wohl fühlen konnte. Als hätte der Sarazene seine Gedanken erraten, sagte er:
    »Die Alchemie war schon immer meine geheime Leidenschaft. Allerdings nur so weit, als sie die Bereiche der Medizin berührt. An der Herstellung von Gold aus Blei, wenn sie denn gelingen könnte, bin ich nicht interessiert. Mal sehen, wie sagte der Alte? Wachs ohne Rauch… Silber in einem warmen Tiegel mit Quecksilber… mit Essig und Salz verrühren. Ingwer, Salmiak, Silberglätte und Bleiweiß in gleichen Teilen zusetzen. Wir können versuchen, ob das tatsächlich jene Masse ergibt, die auf glühendem Kupferblech wie Wachs ohne Rauch fließt.«
    »Es ist nur eine der Zutaten, nicht mehr.«
    »Geduld, Bruder! Eben fiel mir übrigens ein, wo ich davon schon gehört hatte. Es war in Aragonien. Ein Mann namens Arnoldus de Villanova besuchte den Königshof, er war damals so alt wie Bruder Raimundus heute und angeblich weitberühmt. Man behauptete, er habe für den Abt von Westminster sechzigtausend Pfund Gold aus Quecksilber, Zinn und Blei gemacht. Er rezitierte aus einem Buch, das er Picatrix nannte, und benutzte die gleichen Worte wie Raimundus. Hast du schon von einer solchen Schrift gehört?«
    »Wir brauchen kein Gold, sondern die Rote Tinktur, Uthman!«
    »Ich weiß. Nun gut, hier haben wir immerhin die Basis. Wenn alle diese anderen Zusätze dazukommen, dann könnte es…«
    »Kannst du dich etwas deutlicher ausdrücken?!«
    »Wir nehmen die Masse des Raimundus. Dann brauchen wir einen anderen Mischzusatz. Wir erhalten ihn, wenn wir Weinstein im Ofen brennen und danach in feuchter Luft zu einem Öl zerlaufen lassen; das wird mit einer stinkenden, siebenmal destillierten Mischung aus Vitriol, Salpeter und Alaun in eine Phiole getan.«
    »Daraus soll rote Tinktur werden?«, zweifelte Henri.
    »Es scheint so zu sein, dass aus einer Mischung von Goldamalgam und Silberoxyden ein grünliches Pulver wird, dazu kommt Quecksilber…«
    »Das bestätigte er…«
    »Ja. Und dadurch wird eine Masse hergestellt, die im Brennofen rot wird und zu Pulver zerfällt. Aber nein. Nein! Etwas fehlt noch! Was könnte es nur sein?!«
    Er versenkte sich wieder in sein Buch. Henri wagte es nicht, den Blick von seinem Gefährten zu wenden, so als könne er ihn dadurch in seiner Suche unterstützen.
    Nach einer Weile blickte Uthman auf. In seinem Gesicht stand ein stiller Triumph. »Allah ist groß! Ich weiß um den letzten, entscheidenden Stoff. Es muss Aconitum napellus sein. Die Überlieferung berichtet, es sei der Stoff der antiken Medea, die ihn dem Geifer des Höllenhundes Zerberus entnahm, als ihn Herakles auf Befehl des Königs Eurystheas aus der Unterwelt empor geschleppt hatte. Der Grieche Theophrast behauptet, das akoniton könne so zubereitet werden, dass der Tod des Vergifteten erst nach Monaten eintritt, und vor allem, dass es spurenlos sei. In Verbindung mit dem Merkurius hingegen entfalten sich alle tödlichen

Weitere Kostenlose Bücher