Der König muß sterben
sie Euch nicht gelingen. Im günstigen Fall jedoch wird Euch reiche Belohnung zuteil werden. Der Schatz des häretischen Tempelordens gehört allein dem Königshof! Wenn Ihr uns Zugang dazu weist, ist es nicht Euer Schade. Kommt nach Fontainebleau, wo Wir mit unserem Hofstaat vierzehn Tage lang verweilen. Es ist die Zeit des vorweihnachtlichen Halali, und Wir werden eine Wildschweinjagd veranstalten. Seid unser Gast! Und verratet uns Eure Geheimnisse! Das Losungswort, mit dem Ihr sofort zu mir geführt werdet, sei Bauseânt!, der alte Schlachtruf der verhassten Templer, dieses Wort wird außer Euch in dieser Zeit niemand zu verwenden wagen! – Philipp, König von Frankreich, im neunundzwanzigsten Jahr seiner Regentschaft.«
»Und im letzten Jahr!«, fügte Joshua hinzu. Er verstand die Demütigung, ihn, den Juden, ausgerechnet zu einer Schweinejagd einzuladen.
Henri ließ den Brief sinken. »Nun ist alles vorbereitet. Begeben wir uns auf die große Saujagd!«
»Wann willst du reiten?«, fragte Uthman.
»Wenn Joshua aus mir einen Juden gemacht hat. Wie lange dauert das, mein Freund?«
»Das hängt ganz von deiner Gelehrsamkeit ab. Ich denke, in zwei Tagen kannst du aufbrechen, Henri.«
»Ich begleite dich, Bruder«, meinte Charleroi. »Nein, ich dulde keine Widerrede! Ein zusätzlicher Templer kann nicht schaden. Wenigstens bis zu den Toren der Stadt!«
»Aber es ist gefährlich. Philipp ist ein listiger Fuchs. Sie könnten uns ergreifen und uns der Folter unterziehen, um uns zum Reden zu bringen. Es ist nahe liegend. So brauchten sie uns nicht den geforderten Preis zu bezahlen.«
»Das werden sie nicht wagen. Denn wenn du nicht sprichst, verlieren sie alles. Ich begleite dich.«
»Also gut.«
»Wenn sie Wildschweine jagen wollen, dann tun sie es im Wald von Bière und Saint Maxence, dort kenne ich mich ein wenig aus. Ich werde dort auf dich warten, wer weiß, ob du dann nicht eine tatkräftige Hilfe benötigst.«
»Nun, so danke ich dir, Bruder Jacques!«
»Reiten wir zurück. Und dann wird der Talmud studiert!«
»Ich kenne den Talmud bereits. Wusstest du nicht, dass ich die aramäische Sprache beherrsche? Wozu habe ich diese Kenntnisse wohl verwendet?«
»Wahrscheinlich – um den Talmud zu lesen.«
»Hüh! Höh!… Willst du wohl laufen!…«
Als sie die Behausung des Juden erreichten, war schon alles vorbereitet. Überall lagen Kleider. Henri de Roslin musste nun in die Gestalt eines aramäischen Gelehrten schlüpfen, der vorher Joshua ben Shimon geheißen hatte.
Die nächsten Stunden waren erfüllt von Beten, Singen und Wehklagen. Henri lernte, sich richtig zu bewegen. Joshua verwandelte sich während der Lektionen in einen rabbenu, was in seiner Sprache »Unser Lehrer« hieß, und Henri, obwohl er schon über vierzig Jahre auf der Erdenscheibe weilte, in einen jungen Eleven.
Noch in der Nacht las er zum Kerzenlicht im Talmud, bis ihm die Augen zufielen. Er schlief an der Tischkante ein. Am nächsten Morgen ging der Unterricht noch vor dem Frühstück weiter. Henri musste das jüdische Morgengebet sprechen, das Joshua schacharit nannte.
»Wenn sie jemanden am Hof haben, der sich auskennt, wird er dich vielleicht Prüfungen unterziehen«, sagte Joshua. »Du musst wenigstens über die geläufigen Dinge Bescheid wissen, um keinen Verdacht zu erregen. Ich werde dir zeigen, wie du die Gebetsriemen anlegst. Du musst richtig beten. Und du musst unbedingt vor jeder Nahrungsaufnahme fragen, ob das Fleisch koscher ist.«
»Ich kann, wie gesagt, Aramäisch.«
»Das ist vortrefflich und wird dir helfen. Aber es ist nicht genug. Um debattieren zu können, musst du beispielsweise das loschen beherrschen, es ist eine Mischung aus Hebräisch und Latein. Wir Juden lieben es, uns zu streiten, und wir tun es in dieser Sprache. Wir streiten uns ständig über die Gesetze und über ihre richtige Auslegung. Jeder legt sie anders aus.«
»Ich beherrsche beides, Latein natürlich mehr als das Hebräische, aber ich kann mich jederzeit verständigen.«
»Zeig es mir!«
Und Henri begann, in scheinbarer Erbitterung, loszupalavern, ein endloser Fluss mal weinerlicher, mal scharfer Anklagen und Entgegnungen.
»Nicht schlecht. Übe es so lange, bis du dem König und seinen misstrauischen Ministern gegenübertrittst! Dann besitzt deine Stimme den richtigen Tonfall, und es wirkt glaubhaft.«
Henri verbrachte den ganzen restlichen Morgen mit dem loschen. Noch während Joshua mit der Hilfe von Mara versuchte, ihm die
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