Der König und die Totenleserin3
durchs Himmelstor lassen.«
»Die Hölle wird für mich keine Hölle sein, wenn ich mit dir dort bin«, sagte sie und streckte die Arme nach ihm aus. »Wir werden gemeinsam im Feuer schmoren.«
Stimmen in der Dunkelheit, die von Liebe sprachen. Schwache Flammen, die flackernd erloschen.
Das Atmen wurde immer schwerer.
Nach einer Weile fiel sein Kopf schwer gegen ihren Hals, und als sie etwas zu ihm sagte, antwortete er nicht.
»Nein«, flehte sie ihn an. »Warte auf mich. Geh nicht ohne mich!«
Ein tiefes Knirschen erklang, und die Kuppel über ihren Köpfen hob sich langsam, als spähte ein vorsichtiger Koch in einen Topf.
Die Fäulnis der Todeskammer entwich nach oben – sie spürte sie vorbeiziehen wie einen Wind –, um von feuchter frischer Luft ersetzt zu werden.
»Gebe Gott, dass wir noch rechtzeitig kommen«, sagte jemand.
Benommen, Rowleys Körper noch immer fest an sich gedrückt, schaute sie nach oben. Das Gesicht des Abtes von Glastonbury starrte zu ihr herab, daneben das von Godwyn, und beide blickten ängstlich.
Hinter ihnen tobte Hilda. »Lasst sie da!«, kreischte sie. »Lasst sie da!« Nur die massigen Arme von Bruder Titus hielten die Frau davon ab, die Auferstehung des Paares zu verhindern, das sie zum Tode verurteilt hatte.
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Kapitel zwölf
A delia ließ sie Rowley zuerst herausziehen, wozu die zusätzliche Hilfe der Brüder James und Aelwyn benötigt wurde. Bruder Titus war vollauf damit beschäftigt, die heulende, um sich tretende Hilda zu bändigen.
Als Adelia an die Reihe kam und durch das breite Loch herausgehoben wurde, stellte sie fest, dass sie sich in den Trümmern des ehemaligen Hauses des Abtes von Glastonbury befand, nahe der Anlegestelle der Abtei.
Die Mönche wollten sie beide sogleich zur Küche des Abtes bringen, doch Adelia verbot ihnen, Rowleys Körper zu bewegen. Sie kniete sich neben ihn, flehte ihn an, von dort zurückzukommen, wo immer er jetzt auch war, bis sie sah, dass sich Luft ungehindert durch seine Nase bewegte. Er schlug die Augen auf – sie blickten klar – und sagte ihren Namen, worauf sie nach hinten sank und ein Gebet von solcher Dankbarkeit ausstieß, dass es die Wolkenfetzen, die vor einem bleichen, gleichgültigen Mond trieben, durchdringen und höher, immer höher steigen musste, bis es den Gott der Gnade erreichte, der erneut eine Wiederauferstehung gewährt hatte.
Aelwyn und James nahmen Rowley zwischen sich und führten ihn über das verbrannte Gras zur Küche. Titus trug die noch immer kreischende Hilda hinter ihnen her. Adelia folgte zum Schluss, schwer auf den Arm des Abtes gestützt.
»Nein, nein«, sagte der, als sie ihm danken wollte. »Ihr verdankt Euer Leben diesem wackeren Mann hier.« Er legte Godwyn, der stumm neben ihnen ging, eine Hand auf die Schulter. »Sonst hätten wir gar nichts mitbekommen. Ich hatte sogar völlig vergessen, dass es diesen unterirdischen Gang überhaupt gibt. Er wurde vor langer Zeit von einem meiner Vorgänger angelegt, vielleicht während der Überfälle der Dänen, und die Kuppel war in all den Jahren gänzlich zugerostet. Als Godwyn merkte, dass er sie nicht allein öffnen konnte, kam er zu uns gelaufen und bat um Hilfe, nicht wahr, mein Sohn?« Als der Wirt nicht antwortete, fügte der Abt hinzu: »Ich fürchte, es gibt allerlei Fragen zu beantworten, aber das muss warten, bis Ihr und unser guter Bischof Euch erholt habt.«
Sie fror und zitterte am ganzen Körper. Der tropfnasse Rock schlackerte ihr kalt um die Beine. Mit dem Gewitter war auch die Hitze verschwunden und war kühler Luft gewichen, die die Landschaft duftend zum Leben erweckte, und Adelia konnte in ihrem betäubten Zustand nichts anderes tun, als sie in sich aufsaugen. Die Befreiung aus der Gefahr, in der sie und Rowley gemeinsam geschwebt hatten, hatte die Intensität jener letzten Augenblicke nicht geschmälert. Die Menschen um sie herum, selbst Hilda und ihre Schreie, waren nur schattenhafte Figuren am Rande. Gewiss gab es Fragen zu beantworten, Tausende Fragen, aber im Moment flatterten sie wie Motten außerhalb ihrer Reichweite.
Ihr Körper genoss die Wärme der Küche, aber noch immer war nichts anderes verlässlich darin als Rowley, den man auf den einzigen Stuhl gesetzt hatte.
»Sumpfruhrkraut«, sagte sie automatisch. »Macht ihm einen Aufguss mit Sumpfruhrkraut.« Es regte die Atmung an.
Sie hörte ihn sagen: »Pfui Teufel. Ich trink lieber Branntwein.« Das war eine solche Musik in ihren Ohren, dass ihr
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