Der König und die Totenleserin3
Arthur zu seiner langen Ruhe gebettet, und durch die Gnade Gottes bin ich Zeuge dessen geworden. Wohlan nun, lasse Du Deinen Diener in Frieden dahinscheiden!‹ Und der Allmächtige hat ihn erhört, denn das Ende meines Onkels war wahrhaft wunderwunderbar …«
»Gott hab ihn selig«, sagte Henry. »Und nun red weiter!«
»Am nächsten Morgen haben wir meinen lieben alten Onkel beerdigt, aber keine Spur von einem anderen Sarg gesehen, nur aufgewühlte Erde auf dem ganzen Friedhof – durch das Erdbeben, versteht Ihr? Furchtbar war es, ganz furchtbar, wie am Tage des Jüngsten Ge…«
Der König stampfte mit einem Fuß auf und sagte: »Aber du hast nicht weiterzählt, was Onkel Caradoc gesehen hatte, oder?«
»Nein, oh nein.«
»Wir mussten es aus ihm herausprügeln«, sagte Henry mit Blick auf Adelia. »Er hat es zwanzig Jahre lang für sich behalten. Der einzige Mensch, dem er es erzählt hat, war seine Mutter.« Er wandte sich wieder Rhys zu. »Und warum hast du es für dich behalten?«
»Nun ja, weil …« Rhys’ große, verträumte Augen nahmen einen listigen Ausdruck an. »Weil manche vielleicht glauben könnten …«
»Und du bist einer von ihnen, du kleiner Sauhund«, warf der König ein.
»… glauben könnten, dass mein Onkel das Begräbnis von König Arthur sah.«
»Und wieso kann es das nicht gewesen sein?«
»Nun ja«, sagte Rhys noch immer listig, »manch einer glaubt, dass Arthur nur schläft, versteht Ihr? In einer Kristallhöhle in Ynis-Witrin, der Insel aus Glas. Avalon.«
»Und das ist Glastonbury«, sagte Henry schnell. Er winkte dem Pagen an der Tür. »Bring ihn runter in die Küche und gib ihm wieder was zu essen!« An Adelia gewandt, sagte er: »Der Mistkerl frisst mir noch die Haare vom Kopf.« Als der Page Rhys nach draußen brachte, rief er ihm hinterher: »Und es wird nicht gesungen!«
Als die Tür sich wieder schloss, sagte der König: »Nun?«
»Nun was, Mylord?«, sagte Adelia.
»Nun, das will ich Euch sagen. Er hat uns das alles erzählt, als wir in Cardiff waren – seitdem haben wir ihn die ganze Zeit mitgeschleppt –, und ich hab flugs Boten zum Abt von Glastonbury geschickt mit dem Geheiß, seine Mönche zwischen den beiden Pyramiden auf dem Friedhof graben zu lassen und diesen Sarg zu suchen.«
Adelia runzelte die Stirn. »Ihr haltet diese Vision also für real, Mylord?«
»Natürlich war sie real. Die Mönche haben das Ding gefunden.« Henry schwenkte ein Pergament in der Luft, dessen dickes Siegel in heftiges Pendeln geriet. »Das ist ein Schreiben von Abt Sigward, in dem er mir mitteilt, dass sie genau zwischen den Pyramiden einen Sarg aus sechzehn Fuß Tiefe ausgegraben haben. Drin lagen zwei Skelette, ein großes, ein kleines. Arthur und Guinevere, Gott segne sie! Zwei auf einen Streich.«
Adelia nickte vorsichtig. »Sie haben ihn
nach
dem Brand ausgegraben, nicht wahr?«
»Natürlich – kurz danach, sonst wäre der Sarg ja wohl wie alles andere auch verbrannt.«
»Ich verstehe.«
Henry musterte sie mit zusammengekniffenen Augen: »Wollt Ihr andeuten, das Ganze ist Betrügerei?«
»Nein, nein.« Gleichwohl dachte sie, dass es für eine Abtei, die gerade alles verloren hatte, woraus sich Einkünfte erzielen ließen, ein überaus glücklicher Fund war.
»Das hör ich gern. Abt Sigward ist ein ehrenhafter Mann. Er behauptet nicht ausdrücklich, dass das in dem verdammten Sarg wirklich Arthur ist. Aber wer soll es sonst sein? Habt Ihr nicht Geoffrey von Monmouth gelesen?«
Nein, hatte sie nicht, war auch nicht nötig gewesen, weil sie ohnehin das meiste aus seinem Buch gehört hatte. Geoffreys
»Historia Regum Britanniae«
hatte in den vierzig Jahren seit ihrer Abfassung unaufhaltsam an Beliebtheit gewonnen. Das Werk beanspruchte, die Ahnenreihe der britischen Könige zweitausend Jahre weit zurückzuverfolgen, und schrieb ihnen zu, von den Trojanern abzustammen. Wer gebildet genug war, um Latein lesen zu können, erzählte denjenigen, die das nicht konnten, die Geschichten weiter, wunderbare Geschichten voller Abenteuer und Liebe, Krieg und Magie und Frömmigkeit – aber die wunderbarste von allen war die Geschichte von König Arthur, der den heidnischen sächsischen Eindringlingen widerstand und irgendwo im Nebel des finstren Zeitalters Britanniens ein goldenes Zeitalter der Ritterlichkeit erschuf.
Arthur hatte die Phantasie des Landes entzündet und tat das noch immer. Legenden von seinem Heldenmut, seinen Rittern und Schlachten, seiner Ehe
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