Der König und die Totenleserin3
auf einer erhöhten und mit Stroh bedeckten Plattform schliefen. Am nächsten Morgen waren sie von Flöhen zerbissen, und Adelia stellte fest, dass das Bündel mit ihren sauberen Sachen in der Hast bei Emma vergessen worden war. Der Hauptmann – sein Name war Bolt, was nach Gylthas Ansicht »genauso blöd klingt, wie der Saukerl ist« – weigerte sich, einen Abstecher zum nächstgelegenen Markt zu machen, wo sie frische Kleidung hätte kaufen können. »Tut mir leid, Mistress. Ihr müsst einfach die Zähne zusammenbeißen.«
»Befehl des Königs, was?«, fauchte sie erbittert. Die drei Worte waren ihr jetzt schon zuwider, und sie wusste, sie würde sie noch sehr viel häufiger zu hören bekommen.
»Richtig.« Der Mann war eigentlich nicht unfreundlich, aber sein Herr, der König, hatte auf Schnelligkeit bestanden, und diese Forderung war das Einzige, was zählte.
Als sie den Severn erreichten, stiegen sie in ein Boot um und gingen an der walisischen Küste bei der Burg Cardiff, dem Ziel ihrer Reise, an Land. Dort mussten sie erfahren, dass Henry mit seinen Truppen weitergezogen war.
»Schon wieder eine Rebellion«, erklärte Bolt ihnen, nachdem er sich umgehört hatte. »Der junge Geoffrey wird in Caerleon von Walisern belagert. Der König ist hin, um ihn zu unterstützen.«
»Dann müssen wir eben hier warten«, sagte Adelia, froh über die Aussicht auf Erholung.
»Nein, Mistress. Für uns geht’s gleich weiter.«
»In die Schlacht? Ihr dürft uns nicht so in Gefahr bringen.«
Bolt wunderte sich über ihren mangelnden Glauben an Henry Plantagenet. »Wenn wir da ankommen, ist die Schlacht längst vorbei. Der König erledigt diese verdammten walisischen Schwachköpfe schneller, als die sich ins Hemd machen können.«
Und das hatte er wohl auch, zumindest den Köpfen auf der Burgmauer und der stillen, düsteren Landschaft ringsherum nach zu schließen.
Nach der Niederschlagung der Revolte war Henry dabei, den Frieden wiederherzustellen – auch wenn davon in der Barbakane oder im Burghof nichts zu sehen war. Überall herrschte hektische Unruhe: Soldaten sammelten Waffen zusammen, Schreiber packten Truhen mit Dokumenten, das alles inmitten von schreienden Maultieren und verstört umherirrenden Hühnern und Schweinen, während eine sich überschlagende Stimme aus einem hohen Fenster Befehle an die unten im Hof brüllte: »Wo bleiben diese verdammten Karten? Ich brauch hier oben mehr Tinte. Herr im Himmel, ihr Saukerle, nun beeilt euch doch!«
Überall stank es nach Urin und Dung, und der Geruch wurde auch nicht besser, als Adelia und die anderen hastig Treppen hinauf- und an Schießscharten vorbeigeführt wurden, an denen Bogenschützen Tag und Nacht gewacht hatten, um den anstürmenden Feind abzuwehren.
Der König schritt in einem geringfügig leiseren, aber ebenso unruhigen Zimmer auf und ab, diktierte zwei verschiedenen Schreibern die Bedingungen für zwei verschiedene Verträge mit zwei verschiedenen und besiegten aufrührerischen walisischen Lords. Er schrie gelegentlich Anweisungen durch das Fenster, während ein überforderter kleiner Mann neben ihm herlief und versuchte, Blutegel an einen nackten und entzündet aussehenden königlichen Arm zu setzen. In einer Ecke sprach ein junger Mann, in dem Adelia den unehelichen Sohn des Königs und seinen obersten Feldherrn Geoffrey erkannte, mit einigen müde aussehenden, offenbar ranghohen Männern in schweren Pelzmänteln, vermutlich walisischen Stammesfürsten. Pagen trugen Essen auf einem Tisch auf und beförderten dabei schnüffelnde Hunde mit Fußtritten beiseite. Etliche Falken auf Sitzstangen kreischten und schlugen mit den Flügeln. In krassem Gegensatz dazu saß ein schlaff wirkender Mann in einer anderen Ecke, klimperte auf einer kleinen Harfe und sang dazu, obwohl unmöglich zu hören war, was.
Hauptmann Bolt kündigte die Neuankömmlinge mit einem lauten Ruf an, der sich kaum gegen den Krach durchsetzen konnte: »Master Mansur, Mistress Adelia und …« Er warf einen verzweifelten Blick auf Gyltha, die Allie im Arm hielt. »Und Begleitung.«
Henry blickte auf. »Ihr habt Euch verdammt Zeit gelassen. Setzt Euch irgendwohin, bis ich hier fertig …«
»Nein«, sagte Adelia entschieden.
Jeder im Raum erstarrte, bis auf den Harfenspieler, der weiter leise vor sich hin sang.
Adelia, der vor Flohbissen und Wut schon alles egal war, erklärte: »Master Mansur und Begleitung brauchen ein Bad und Ruhe. Und zwar sofort.«
Aller Augen richteten
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