Der König und die Totenleserin3
Gebilde mit vorhangähnlichen Behängen auf beiden Seiten, das schwer auf ihren Ohren lastete.
Beiläufig fragte sie den Pagen, der ihnen den Weg zeigte: »Ist der Bischof von St. Albans in der Burg?«
»Er war es, Mistress, ist aber weiter nach St. David’s, um mit dem walisischen Bischof zu verhandeln.«
Im Gemach des Königs befanden sich, da die Stammesfürsten und Diener gegangen waren, der König selbst, ein Schreiber, der am Tisch ein Dokument aufsetzte, Hunde, Falken und der leise singende Harfenspieler. Der Page führte sie hinein, kündigte sie an und blieb dann in Habtachtstellung mit dem Rücken zur Tür stehen.
Henry Plantagenet diktierte noch und stapfte auf Beinen, die von den endlosen Ritten durch sein Reich schon leicht krumm geworden waren, auf und ab. Wie üblich war er kaum besser gekleidet als einer seiner Pferdeknechte, aber ihn umgab auch wie üblich eine Aura der Macht, die fast mit Händen zu greifen war.
Auf Mansurs
»As-salam-aleikum«
hin nickte Henry ihm zu und ging dann einmal um Adelia herum, um ihre ausladende Garderobe zu mustern. »Könnt Ihr mich darin hören?«
»Ja, Mylord. Danke, Mylord.«
»Ihr seid ein ungehobeltes und schamloses Weib, wisst Ihr das?«
»Ja, Mylord, es tut mir leid, Mylord.« Sie blickte auf den Arm des Königs, wo weiche, leuchtend hellgrüne Blütenköpfe von Sphagnum-Moos durch einen Verband an Ort und Stelle gehalten wurden. »Was macht Eure Wunde?«
»Besser. Wäret Ihr jetzt bereit für ein bisschen Arbeit?«
»Ich denke ja, Mylord.«
»Seht Ihr den Burschen da drüben?« Der König deutete mit dem Daumen auf den Harfenspieler. »Heißt Rhys soundso. Er ist Barde und kommt aus irgendeinem unaussprechlichen Drecksloch an der Küste.« Er hätte auch über eine interessante Hunderasse sprechen können. »Erhebe dich, Rhys, und begrüße Master Mansur und Mistress Aguilar!« An Adelia gewandt, sagte er: »Er hat die ganze Sache losgetreten, deshalb wird er Euch nach Glastonbury begleiten.«
Rhys stand auf und verbeugte sich vage in Adelias und Mansurs Richtung.
»Glastonbury?«, echote Adelia schrill. »Mylord, ich war bereits auf dem Weg nach Glastonbury oder zumindest in der Nähe. Lady Emma Wolvercote und ich waren unterwegs nach Wells. Ihr hättet einen Boten schicken und Euch die Mühe sparen können.« Und mir weiß Gott wie viele mörderische Meilen, dachte sie. Welche Sache?
»Master Rhys wird Euch eine Geschichte erzählen, nicht wahr, Rhys?«, sagte Henry, dessen Aufmerksamkeit noch immer dem Barden galt, als wollte er ihn dazu bringen, den Besuchern ein Kunststück vorzuführen. »Erzählen, nicht singen, in Gottes Namen.« An Adelia und Mansur gewandt, sagte er: »Der Mistkerl singt andauernd.«
»Das mit Onkel Caradoc, nicht?«, fragte Rhys.
»Natürlich, du Spaßvogel. Weswegen bist du sonst hier? Nun red schon!«
Der Barde trat vor. Er war ein dünner Mann mit Hängeschultern und vorstehenden Zähnen, der Adelia irgendwie an ein in die Länge gezogenes Kaninchen erinnerte. Trotz des königlichen Verbots wanderte seine Hand immer wieder zur Harfe, ehe dieses ihm erneut einfiel und er sie wieder wegnahm. Aber selbst seine Sprechstimme, ein weicher Tenor, der sein Aussehen vergessen ließ, war fast so melodiös wie ein Lied, wenngleich der Schreiber am Tisch davon ungerührt blieb und der Barde seine Geschichte über das Kratzen eines Federkiels und den durchs Fenster dringenden Lärm des soldatischen Treibens im Burghof hinweg erzählen musste.
Und so wurden Adelia und Mansur von der Singsangstimme zwanzig Jahre zurückversetzt, in die Zeit, als der jugendliche Rhys in der Abtei von Glastonbury lebte. »Ich war nie für das Klosterleben geeignet«, sagte er. »Keine Gelegenheit für wahre Poesie.«
Er erzählte ihnen von dem Erdbeben, das das Tiefland von Somerset, in dem Glastonbury stand, heimgesucht hatte. »Furchtbar war es, ganz furchtbar, als ließe die Posaune des Jüngsten Gerichts den Himmel erbeben …« Ein Zischen aus dem Mund des Königs trieb ihn weiter. »Und mein lieber Onkel Caradoc, der sterbenskrank war, hatte einen Wachtraum …«
»Eine Vision«, sagte der König.
»Drei Kapuzen tragende Lords, die einen Sarg zum Friedhof schleppen und ihn beerdigen, wisst Ihr.«
»Zwischen den beiden Pyramiden«, soufflierte der König.
»Es stehen zwei Pyramiden auf dem Friedhof in Glastonbury, uralt sind sie, und Onkel Caradoc, der sagt zu mir: ›Schau, mein Junge, schau dort hinunter in den Erdspalt! Dort wurde
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