Der König und die Totenleserin3
bedächtig. »Wir werden ihn fragen.« Er rief nach dem Mann, der noch immer die obere Weide mähte, und winkte ihm, zu ihnen herunterzukommen.
»Unsere Ställe sind in Flammen aufgegangen, müsst Ihr wissen«, erklärte er Adelia. »Alle unsere Pferde verbrannt.« Er legte eine Hand vor die Augen, als wollte er sie vor einem Anblick schützen, der zu schrecklich war, um ihn in der Erinnerung noch einmal zu durchleben. Alle anderen Mönche durchlief ein Schaudern. »Danach konnten wir uns bloß noch ein Maultier leisten.«
»Dieser Nichtsnutz«, murmelte Hilda. »Der ist schuld. Das waren Bruder Aloysius’ letzte Worte: ›Eustace, Eustace.‹ Hab ich selbst gehört, als ich Salbe auf seine schlimmen Brandwunden gestrichen hab.«
»So deutlich waren sie nicht«, wies der Abt sie geduldig zurecht. »Gott segne ihn, aber wir können uns nicht auf die wirren Worte eines Sterbenden verlassen.«
Offenbar ebenso wenig auf die Worte einer aufgebrachten Frau und ihrer vierjährigen Tochter. Die Mönche hielten Adelia für überspannt. Der Abt versuchte, sie zu beschwichtigen; die anderen waren nur daran interessiert, Master Mansurs fachkundige Meinung zu den Knochen zu hören.
Aber für Adelia konnten Arthur und Guinevere tot bleiben; ihr ging es jetzt um die Lebenden, und gebe Gott, dass Emma und die anderen tatsächlich noch unter den Lebenden weilten!
»Maultier ist Maultier«, sagte Bruder Aelwyn bissig. »Wer kann die Viecher denn schon unterscheiden?«
Ich nicht, dachte Adelia, der es schon schwerfiel, den Unterschied zwischen einem Schlachtross und einem Zelter zu erkennen.
Aber Allie.
Sie war mit ihrer Tochter, Mansur und Gyltha hinauf zu der Weide gegangen und hatte sich von Allie die Besonderheiten zeigen lassen, die für das Kind einen griesgrämig dreinblickenden Vierhufer von allen anderen Pferden dieser Welt unterschied – und war zu der Überzeugung gelangt, dass Emma und die anderen überfallen und ausgeraubt worden waren und irgendwer ihre Habseligkeiten verkauft hatte.
»Wir müssen sie finden«, sagte Adelia. »Wir müssen sie finden.«
Sie konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass die Vermissten irgendwo in der Nähe und in furchtbarer Not waren. Der Ruf einer Amsel war Emmas Stimme, die um ihr Leben flehte; das ferne
Iieah, Iieah
einer Kornweihe über dem Marschland war der Schrei des kleinen Pippy.
Sie waren den Hang wieder hinabgestiegen, und Adelia hatte die von ihren Offizien zurückkehrenden Mönche zur Rede gestellt und gefragt, wo sie das Tier gekauft hatten.
Es war natürlich möglich, wie der Abt feststellte, dass Emma die Maultiere verkauft und sich irgendwo hier in der Nähe niedergelassen hatte.
Adelia glaubte das nicht. Ihre Freundin hatte sich ganz sicher nicht in Wolvercote Manor niedergelassen, falls man der verwitweten Lady Wolvercote glaubte durfte. Außerdem hätte die Ankunft einer feinen Lady wie Emma hier in der Gegend die Einheimischen in helle Aufregung versetzt, doch offenbar hatte – zumindest hier in Glastonbury – niemand etwas gehört.
»Bruder Peter wird mehr wissen«, sagte Abt Sigward, erleichtert, als der Mann sich näherte. »Er kann die Angelegenheit gewiss klären.«
Bruder Peter war der nächste Schock. Er trug die Kutte eines Laienbruders, was ihn im Grunde lediglich als Arbeiter in einem Kloster auswies, aber in Größe, Augen- und Haarfarbe und Gesichtszügen ähnelte er dem Mann, den Adelia erst einen Tag zuvor in der Küche von Wolvercote Manor beim Brotbacken gesehen hatte, wie ein Ei dem anderen.
Nach einem Moment machte sie sich klar, dass er nicht der Bäcker sein konnte – der hatte keine Tonsur gehabt wie dieser Mann hier, obwohl das Haar ansonsten genau gleich war –, sondern sein Zwillingsbruder sein musste.
Als man ihm Fragen stellte, wurde er trotzig. »Was hab ich denn nun schon wieder falsch gemacht? Abt, ich hab Euch gesagt, dass wir irgendwas brauchen, um Pflug und Egge zu ziehen. ›Besorg was‹, habt Ihr gesagt, ›aber billig muss es sein!‹«
»Das ist wahr, das ist wahr«, sagte Abt Sigward. »Und es macht dir ja auch niemand einen Vorwurf, mein Sohn. Aber wo hast du das Tier erstanden?«
»In Street. Wo denn sonst? Hier gibt’s ja keinen Markt mehr. Habs in Street gekauft. Hab’s ausgesucht, weil’s stark ist, auch wenn’s Regenfäule hat.«
»Tang«, meldete Allie sich zu Wort. »Das hilft gegen Regenfäule.«
»Aha«, sagte Bruder Peter sarkastisch und betrachtete das Kind mit demselben Trotz, mit
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