Der König und die Totenleserin3
dem er alle anderen bedachte. »Ich hab ja auch die Zeit, einen Maultierarsch mit verdammtem Tang zu bestreichen, klar, jede Menge Zeit.«
»Aber wer hat Euch das Tier verkauft?«, fragte Adelia.
Es brachte nichts. Ein Maultierverkäufer, ein Mann, der von Markt zu Markt zog und alle paar Monate nach Street kam. Bruder Peter hatte mit ihm gefeilscht, den Preis so weit heruntergehandelt, dass die Abtei ihn zahlen konnte. »Hab ja nich gewusst, dass ich nach seinen verdammten Vorfahren fragen sollte.«
»Wann war das?«
»Vor fast einem Monat«, sagte Bruder Peter. »Am Tag des heiligen Bonifaz. Und jetzt, falls es nich noch mehr Fragen gibt, muss ich Gras mähen.«
Abt Sigward blickte Adelia fragend an, die daraufhin den Kopf schüttelte, und Bruder Peter stapfte von dannen.
»Leider ist er etwas ungeschliffen«, sagte der Abt, »aber ein guter Christ und ein fleißiger Arbeiter.«
Sie würde allein mit dem Mann reden müssen. Sie würde viele Dinge tun müssen – und zwar unauffällig. Der sonnige Tag hatte seine Unschuld verloren. Die Menschen der Abtei, der plappernde Bruder James, der feindselige Aelwyn, der beleibte Titus, sogar Hilda, ja sogar der liebenswürdige Abt hatten plötzlich etwas Unheimliches an sich. Sie erinnerte sich an Hauptmann Bolts Worte: »Irgendwas ist von hier verschwunden, und etwas anderes ist dafür gekommen.«
Sie riss sich zusammen und sagte: »Master Mansur benötigt mehr Zeit, ehe er sagen kann, was es mit den Knochen auf sich hat.« Dann verneigte sie sich vor dem Abt und ging weg.
Zunächst bekam sie beim Abendessen keinen Bissen herunter, obwohl Godwyn einen Wildbraten mit Wein und Pilzen geschmort hatte, bis das Fleisch sich vom Knochen löste.
An wen konnte sie sich um Hilfe wenden? An den Sheriff? Aber würde der ihre Sorge um Emma ernster nehmen, als die Mönche das getan hatten? Wahrscheinlich nicht. Erst musste sie mehr Beweise finden. Er würde sich der Erklärung anschließen, dass Emma sich das mit der Verabredung einfach nur anders überlegt und die Maultiere verkauft hatte.
Rowley?
Nein. Bitte, Gott, zwing mich nicht dazu! Wir sind getrennt, und daran wäre ich fast gestorben. Jetzt können Tage vergehen – na ja, immerhin Stunden –, ohne dass ich an ihn denke. Er denkt wahrscheinlich gar nicht mehr an mich. Zum Teufel mit dem Mann! Hätte es ihm denn wehgetan, wenigstens Allie zu sehen, während wir in Wales waren?
Sie verspürte eine altvertraute Wut in sich aufwallen und zugleich die gleichermaßen ärgerliche Erkenntnis, wie unbegründet sie war. Mehrfach hatte er ihre Vereinbarung gebrochen, dass sie nichts miteinander zu tun haben sollten, indem er ihr Geld und für Allie ein Geschenk zum Geburtstag geschickt hatte. Aber das hatte für sie den Beigeschmack von Gaben an eine Mätresse und ihr Bastardkind gehabt – obwohl sie wusste, dass sie das nicht waren –, und sie hatte alles zurückgeschickt.
Trotzdem, zum Teufel mit ihm.
Es war fast eine Erleichterung, als sie sich in Erinnerung rief, dass es bis zu seiner angekündigten Ankunft in Somerset noch einige Tage dauern würde, sodass sie, selbst wenn sie seine Hilfe brauchte, ihn nicht darum bitten konnte.
Wie Beweise finden? Wie Beweise finden?
Es bestand keine Veranlassung, die Mönche zu verdächtigen – das Maultier war offensichtlich in gutem Glauben gekauft worden. Doch ein unerklärlicher Instinkt drängte sie, mehr über sie alle herauszufinden.
Nun, während sie und Mansur die Skelette untersuchten, hatte sie bestens Gelegenheit, das zu tun. Und sie könnte Gyltha auf Bruder Peter ansetzen … Ja, genau, das würde sie tun; Gyltha konnte Steine zum Reden bringen.
Vor allem jedoch galt es, die Nachbarschaft nach Informationen zu durchforsten. Sie selbst kam dafür nicht in Frage. Obwohl sie sich redlich Mühe gab, ihn loszuwerden, hatte sie noch immer leichte Anklänge eines ausländischen Akzents, und die Engländer mochten keine Ausländer.
Also wieder Gyltha? Nein, falls hier in der Gegend Menschen verschwanden, sollten Gyltha und Allie auf keinen Fall dazuzählen.
Ein Schmatzgeräusch riss sie aus ihren Gedanken. Es kam vom Ende des Tisches, wo Rhys der Barde sich mit solcher Inbrunst Wildragout in den Mund schaufelte, dass er sich die Kleidung vollkleckerte.
Rhys.
Adelia griff nach ihrem Löffel und begann zu essen.
»Eine verschwundene Lady, ja?«, sagte Rhys, und seine Glupschaugen wurden feucht. »Ein schönes Thema. Ach du verlornes Täubchen, manch
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