Der König und die Totenleserin3
hatte gehört, wie Rhys davon sang, dass Excalibur zurück in den See geworfen wurde, aus dem es einst ein Frauenarm herausgestreckt hatte. Die Sitte hatte also noch Bestand. Heidnisch, aber dennoch schön.
Endlich lag das Abteigelände verlassen vor ihnen. Die Zehnschaft schlich sich den Hang hinab, wobei sie möglichst in Deckung blieb, und näherte sich den Überresten der Abteimauer.
Will zeigte auf eine Stelle mit schwarz verbranntem Geröll. »Da is Nichtsnutz immer unter der Mauer durch, gleich da, aber das Loch kann man nich sehen, weil bei dem Brand die Steine draufgefallen sind.«
»Dann räumt sie weg«, wies Adelia ihn an. »Der Doktor möchte den Tunnel sehen.«
Und Adelia wurde klar, dass sie dieses eine Mal nicht auf Mansurs Autorität zurückgreifen musste. Diese Männer gehörten einer niedrigen gesellschaftlichen Schicht an, in der die Frauen nicht nur als Eheweib angesehen wurden, sondern auch selbst Arbeiten verrichteten, die ihren Familien das Überleben sicherten. Es war selbstverständlich, dass sie Seite an Seite mit den Männern auf dem Feld schufteten, Ale brauten, Wäsche wuschen, Waren auf dem Markt verkauften, vielleicht sogar stahlen, auf jeden Fall jedoch Geld verdienten, das ihnen eigenes Ansehen verschaffte. Nur die Oberschicht, wo Ladys gänzlich von ihren Ehemännern abhängig waren, konnte es sich leisten, Frauen als minderwertig zu betrachten. Jetzt, da die Zehnschaft sie, Adelia, als vertrauenswürdig eingestuft hatte, fiel es den Mitgliedern nicht schwer, sich von einer Frau etwas sagen zu lassen. Dennoch, es war besser, die Täuschung beizubehalten. Einer von ihnen könnte sich verplappern und sie verraten.
Mühsam wurden die Steine beiseitegeräumt, und darunter kam eine Vertiefung im Boden zum Vorschein, durch die der verstorbene Eustace einst unter der Mauer hindurchgerobbt war. »Das ging so.« Alf legte sich flach auf den Boden und wollte Master Mansur und seiner Übersetzerin das Hindurchkriechen veranschaulichen, nur für den Fall, dass ihnen der Ablauf nicht ganz klar war.
Adelia hielt ihn auf. »Nicht! Der Doktor glaubt, auf der anderen Seite könnte eine Falle sein.«
»Quatsch, der gute Nichtsnutz hatte keine Probleme mit Fallen.«
»Ich denke, mit dieser hatte er welche«, sagte Adelia. Sie schob Alf beiseite und nahm seinen Platz ein. »Ich brauche einen Stock.«
Ein Stock wurde geholt, Adelia hockte sich in die Vertiefung und schob den Stock behutsam unter der Mauer durch, um in der
Asche und dem frisch nachgewachsenen Unkraut herumzustochern.
Ein Klirren war zu hören.
Und da war sie. Keine Schlinge, die sich um Hals oder Bein irgendeines Schädlings zuziehen sollte, sondern eine Schnappfalle, von der Hitze verbogen, aber noch immer als das schreckliche Ding erkennbar, das sie war, und noch immer mit der Kette verbunden, die in einem Mauerstein verankert war.
Bruder Christopher hatte die Geduld mit dem nächtlichen Kaninchen in Menschengestalt verloren, das unverdrossen an den Vorräten der Abtei nagte, und um es endlich zu fangen, hatte er sich über das Gebot hinweggesetzt, dass die Kirche kein Blut vergießen darf.
Die Zehnschaft war entsetzt. »Wenn dieser Schweinehund von Mönch zurückkommt, bring ich ihn um«, sagte Will.
»Weshalb hat er das gemacht?«, wollte Alf wissen. »Nichtsnutz hat doch keinem ein Haar gekrümmt, bloß mal ein Schlückchen Wein stibitzt, um in Stimmung zu kommen, und dann und wann ’ne Steckrübe oder ’nen Kopf Salat. Verdammt, die reichste Abtei der Welt, die hätte sich doch wohl ein bisschen Nächstenliebe leisten können, oder?«
Der Meinung war Bruder Christopher nicht gewesen. Daher hatte er vor Eustace’ Schlupfloch eine Falle gelegt, die aus zwei mit Zähnen versehenen Eisenbügeln bestand und durch eine gespannte Feder ausgelöst wurde. Als Eustace sich durch den Tunnel ziehen wollte, war er mit einer Hand auf den Auslöser geraten, die bösartigen Zähne waren zusammengeschlagen und hatten ihm die Finger eingeklemmt.
Es war nicht so eine Menschenfalle, wie sie Adelia einst gesehen hatte und die jemand anderen zwischen den erbarmungslosen Zähnen hielt – ein Bild, das sie noch immer versuchte, aus ihrer Erinnerung zu tilgen; diese hier war kleiner, aber sie hatte sich auf ihre Weise als ebenso tödlich erwiesen.
Im Geist hörte sie den Knall, als die Falle zuschnappte, sah Eustace, wie er vergeblich versuchte, seine Finger aus der Umklammerung zu reißen …
»Aber das beweist noch gar nix«,
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