Der König von Berlin (German Edition)
sein Vater das mit den Ratten nebenbei machen. Aber dann wurde Eugen furchtbar krank. Seit er gestorben ist, ist alles ganz anders gekommen. Aber richtig anders.»
Frau Adler schien erschöpft von ihrer großen Erzählung. Markowitz war sich nicht im Klaren, was sie mit diesen vielen Neuigkeiten anfangen sollte. Vorsichtig fragte sie: «Was macht Sie so sicher, dass ich jetzt nicht offizielle Ermittlungen gegen Sie und Ihren Sohn und die Firma Machallik einleite?»
«So sicher bin ich da gar nicht, aber ich sagte doch, ich kannte Ihren Vater. Es würde mich sehr wundern, wenn Sie jetzt völlig anders wären als er. In dem Zusammenhang gibt es außerdem noch ein paar Dinge, die Sie gewiss niemals erfahren werden, wenn Sie mich und Ralf ans Messer liefern.»
«Sie wissen etwas über meinen Vater?»
«Sogar über Ihre Mutter. Ich mache Ihnen einen Vorschlag, und Sie müssen auch gar nicht gleich etwas dazu sagen: Warten Sie einfach vier Wochen ab, dann erzähle ich Ihnen alles, was ich weiß. Und Sie können dann machen, was Sie für richtig halten.»
Carola Markowitz nickte langsam, als wollte sie später über diesen Vorschlag nachdenken. Dann versuchte sie, zum Thema zurückzukehren. «Bedeutet dies alles, Ihr Sohn Ralf ist letzten Endes für die aktuelle Rattenplage verantwortlich? Er hat die Population ganz gezielt explodieren lassen?»
Frau Adler sah sie tadelnd an. «Mein Sohn ist an gar nichts schuld! Die Anweisungen kamen und kommen immer noch aus der Firma Machallik. Claire wollte das so, sie hat Ralf nach Machalliks Tod gebeten, die Rattenpopulation nach oben zu treiben. Die Zahl der Einsätze zu vervielfachen. Es geht da wohl ums Vermächtnis vom alten Erwin oder so. Das müssen Sie Claire aber selber fragen. Nur ist jetzt wohl was schiefgegangen.»
«Schiefgegangen?»
«Ja, seit zwei, drei Tagen, meint Ralf, hat er jeglichen Einfluss auf die Ratten verloren. Die letzten heftigen Angriffe waren nicht geplant. Ralf sagt, er hat die Giftmenge schon drastisch erhöht, das Futter erheblich reduziert, aber die Ratten werden trotzdem immer mehr. Außerdem macht sie die fehlende Nahrung natürlich jetzt aggressiver. Die Geister, die man rief, wird man nun nicht mehr los. Es sind einfach viel zu viele Tiere geworden. Die kann niemand mehr beherrschen.»
Carola Markowitz warf sich in ihrem Sessel zurück. «Und was genau heißt das jetzt?»
Frau Adler zuckte die Schultern. «Na, unter dem Zentrum Berlins wuseln gerade Millionen von Ratten, die wohl bald unkontrolliert auf die Stadt losgehen werden. Da kann man nichts machen. Wie gesagt, da ist eben etwas schiefgegangen.»
D ie U-Bahn fuhr zusehends langsamer. Dann ruckelte sie ein paarmal, schließlich blieb sie ganz stehen. Keiner der Fahrgäste zeigte auch nur die geringste Reaktion. Alle lasen weiter Zeitung, starrten auf ihre Smartphones oder in das unterirdische Nichts dieses Vormittags. Selbst als das Licht kurz aus- und wieder anging, war das niemandem eine Bemerkung wert. Warum auch, die U2 steht häufiger mal einfach so. Gerade zwischen Stadtmitte und Spittelmarkt.
Chantal Müller murmelte ihren Text vor sich hin. In einer Stunde durfte sie im «Podewil» auf der Bühne stehen und im Kinderstück «Wie die Prinzessin den Prinzen befreite» die Königin spielen. Wenn sie denn rechtzeitig im Theater wären. Ihre Mutter hatte noch versucht, den Vater zu erreichen, um ihn zu ermahnen, unbedingt pünktlich zu kommen. Das fand sie wichtig, für Chantal. Auch jetzt rief sie ihn gerade wieder an.
Der Mann in Anzug und schickem Mantel neben ihr telefonierte auch. «Ja, Schatz, ich habe heute doch noch zwei Termine hier in Leipzig. Es kann sehr spät werden. Vielleicht übernachte ich sogar im Hotel und nehm dann morgen früh den Zug nach Frankfurt.» Er lächelte Chantal und Susi Müller unbeholfen an. Es war ihm nicht ganz wohl bei dem, was seine Nachbarn hier mithörten, aber es ließ sich nicht verhindern.
Der Motor der U-Bahn hörte zu brummen auf, wieder erlosch das Licht. Ein paar Sekunden herrschte Ruhe. Als es aber dunkel blieb, hörte man erste, leise Flüche. Die Lautsprecher rauschten, der Fahrer machte eine Durchsage. Das Geräuschgewitter mit einzelnen verständlichen Silbenfetzen dauerte ungefähr dreißig Sekunden. Dann begann eine angeregte Diskussion, was der Fahrer wohl gesagt haben könnte. Die meisten meinten verstanden zu haben, dass er auch nicht wisse, was los sei und wann es weitergehe.
Plötzlich stieß Chantal ihre Mutter in
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