Der König von Berlin (German Edition)
fallen.
«Herzlich willkommen, Ralf, ich sehe, du hast ein paar Pfund abgenommen. Gratuliere.»
Markowitz erschrak, Frau Adler lachte. Der Sessel konnte sprechen.
«Soll ich die Federung an dein neues Gewicht anpassen? Darf ich die Kühl- oder Warmhaltefunktion des Getränkehalters aktivieren? Möchtest du eine Massage?»
Irritiert sprang Markowitz wieder auf.
«Auf Wiedersehen, Ralf. Es war mir eine Freude, dein Sitzplatz gewesen zu sein. Ich wünsche dir einen wunderbaren Tag. Dein aktuelles Gewicht beträgt 58,7 Kilo, damit hast du in den letzten vierundzwanzig Stunden 42,5 Kilo abgenommen. Möchtest du eine Körperfettanalyse?»
«Nein!»
Markowitz war erschrocken, wie laut sie den Sessel angeschrien hatte. Frau Adler gluckerte vor sich hin. «Mit dem Stühlchen habe ich mich auch schon wahnsinnig rumgestritten. Der kann allerdings auch singen oder Literatur vorlesen, zu einer Massage ist das ganz hübsch. Er heißt übrigens Johann.»
Markowitz schaute den Sessel an, wie ein Bürger des Wilhelminischen Reichs ein Smartphone angesehen hätte. «Das Ding hat einen Namen?»
«Ja natürlich. Ich finde, alles, was sprechen kann, braucht einen Namen.»
Markowitz ging aus dem Sechseck heraus und setzte sich wieder in das normale Schreibtischsesselungetüm zu Frau Adler. «Was genau macht Ihr Sohn hier eigentlich die ganze Zeit?»
Frau Adler zog eine Augenbraue hoch. «Wissen Sie das nicht schon längst?»
Selbstverständlich dämmerte der Kommissarin, wo sie hier saß. In der Zentrale, im Einsatzzentrum, im wahren Gehirn der Kammerjägerfirma Machallik. Von hier wurde die Rattenpopulation der Stadt überwacht und gesteuert. Die Mächtigen dieser Stadt hätten sehr viel dafür gegeben, zu wissen, was Carola Markowitz nun wusste.
Überraschend bereitwillig begann Frau Adler zu erzählen. Es verschaffte ihr anscheinend Erleichterung, endlich einmal über die Dinge zu reden, die sie seit Jahren verschweigen musste. «Claire Matthes und ich kennen uns schon aus dem Sandkasten. Kurz nachdem sie bei Machallik angefangen hatte, fragte sie, ob wir nicht in unserer Apotheke ein spezielles Rattengift, exklusiv für die Firma, mischen wollten. So begann die Zusammenarbeit. Mein Mann war begeistert von Machalliks Konzept, er war es, der es dann perfektionierte. Eugen war ja ein Tüftler und Grübler. Immer für sich allein, daran hatte er Spaß. Da ist Ralf seinem Vater schon ähnlich. Für Machallik war das natürlich eine wunderbare Situation. Er konnte nach außen den großen Max markieren, sich als Gott der Ratten aufspielen, während mein Eugen im Stillen die Arbeit erledigte. Niemand durfte davon erfahren. Das ganze System der Rattenwege, der Plan mit der neuen Mitte von Berlin, das hat alles Eugen entworfen. Machallik hat dann nur mit Maschmann, den verschiedenen Bürgermeistern, den Bau-, Gesundheits- und Finanzsenatoren und später wohl auch mit den Staatssekretären der Bundesregierung das Organisatorische und Finanzielle ausgekungelt. Mich hat das oft geärgert, wie der Machallik sich inszeniert hat, aber ich durfte ja nichts sagen. Der Erste und Einzige, den Eugen ins Vertrauen gezogen hat, war Ralf. Na, da hatte ich dann zwei Spinner zu Hause, aber die waren glücklich so und hatten Spaß dran. Vater und Sohn. Nächtelang haben sie gemeinsam gebrütet und probiert, und irgendwann ging das auch mit den Computern los. Da war endgültig Land unter, familientechnisch gesehen. Dadurch entstanden organisatorisch noch mal ganz neue Möglichkeiten. Alles ließ sich jetzt von hier aus lenken, und sie konnten viel genauere, viel kompliziertere Rattenprogramme und Populationsberechnungen erstellen. Die Stadt gründete dann eine Senatsstelle zur Schädlingsbekämpfung. Diese Stelle gibt es aber gar nicht, nicht mal einen Briefkasten. Es gibt sie nur zum Schein, sie soll verschleiern, dass die Firma Machallik die städtischen Aufträge an die Berliner Kammerjägerfirmen verteilt. Jeder bekam aber immer nur Teilaufträge, damit niemand das große System der Rattenzucht und Kontrolle durchschauen konnte. So wie bei terroristischen Schläferzellen, die auch immer nur über ihre kleinen Aufgaben informiert werden, damit sie nicht den Gesamtplan verraten können. Ralf hat alles noch mal sehr verfeinert. Ich dachte damals, lass die beiden machen, irgendwann wird Ralf studieren, die Apotheke übernehmen, ein Mädchen kennenlernen und noch eins und noch eins, und auf einmal ist es die Richtige. Und eventuell wird er dann wie
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