Der König von Berlin (German Edition)
Ärmel von Lanners linkem Unterarm hoch und zog eine Spritze auf. «Bevor ich zusteche, Herr Lanner: Gibt es noch etwas, was ich jemandem ausrichten soll, Ihre letzte Botschaft an die Welt?»
Verachtungsvoll sah Lanner den Anwalt an und zischte: «Arschloch!»
Dr. Kersting nickte. «Selbstverständlich. Ich werde es die Welt wissenlassen.» Dann stach er zu.
W ie ein riesiger, wogender, lebendiger Wollteppich hatten die Ratten ausgesehen, als sie in das Alexa hineinschossen. Die Überwachungskameras funktionierten tadellos und lieferten hervorragende Bilder, die, durch welche Kanäle auch immer, ihren Weg erstaunlich schnell ins Internet fanden. Bei Facebook gab es kurze Zeit später sogar Live-Feeds, die rund um die Welt auf größtes Interesse stießen und die Server immer mal wieder kollabieren ließen. Millionen von Usern kündigten an, demnächst nach Berlin zu kommen, um etwas in diesem Alexa zu kaufen. Sie hofften auf Souvenirs vom Ereignis, angenagten Nippes und dergleichen. Ein wenig Enttäuschung kam auf, da es vielen Geschäftsleuten noch gelungen war, ihre Läden rattensicher zu verbarrikadieren. Andererseits sorgte das auch wieder für Spannung, weil die Tiere natürlich trotzdem versuchten, sich Zugang zu verschaffen. Manche Glaswand zerbarst, höchst spektakulär, unter der Kraft der schieren Masse. Den Geschäften, die Nahrungsmittel anboten, war jede Verriegelung untersagt. Gut die Hälfte der Läden wurde von den Ratten erobert. So oder so blieben es beeindruckende Bilder, wie Zehntausende, Hunderttausende und schließlich Millionen Ratten durch das Einkaufszentrum sausten und wuselten. Irgendwann sah man eigentlich nur noch einen einzigen grauen Filz. Dann fielen die Sicherheitskameras aus.
Nachdem genügend Ratten ins Alexa geströmt waren, hatte Toni Karhan es abriegeln lassen. Eine heikle Aufgabe, die die Kammerjäger lieber der Feuerwehr überließen. Als Helden mit vollem Körpereinsatz sahen sich Toni und Georg nicht, da hatten ihnen die athletischen Feuerwehrleute doch einiges voraus. Außerdem verfügten die über eine ganz andere Ausrüstung. Eine Ausrüstung, die man einfach brauchte, wenn man sich in ein Meer von Ratten abseilte, um zwischen ihnen Tore abzusperren und Luken dicht zu machen.
***
Die Klippe, zu der sie den Streifenwagen samt Kommissar im Kofferraum gebracht hatten, war mit Bedacht gewählt. Nicht selten fuhren sie durch Brandenburg und suchten nach Orten, wo man gut etwas verschwinden lassen konnte. Eine seltsame Beschäftigung, eine Landschaft nur unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, wo sich darin gut eine Leiche loswerden ließ. So etwas verändert den Blick auf die Natur, erhöht ihren Schauwert beträchtlich.
Diese Klippe war einer der besten Orte, die sie überhaupt im Portfolio hatten. Man lässt ja auch nicht jeden Tag einen Hauptkommissar verschwinden. Gleich unterhalb der Klippe fiel der Grund des Baggersees steil ab, mehr als zwanzig Meter tief. Zudem war das Wasser eine ziemlich dunkle Brühe, so weit unten nichts zu erkennen. Den Wagen würde niemand zufällig finden. Wenn man die Leiche aber eines Tages brauchte, ließe sich leicht ein Fund arrangieren. Auf eleganten Wegen, etwa durch ein Gerücht, das irgendwie an einen Taucherclub aus dem Umkreis geriete. So könnte man ganz beiläufig die Dinge ins Rollen bringen. Wenn man sie denn ins Rollen bringen wollte. Sonst blieb die Leiche eben einfach verschollen, der Hauptkommissar unauffindbar.
***
Schon früh war klar, dass die Aktion ein Erfolg wurde. Erstaunlich schnell waren die Ratten aus der U2 ins Alexa geströmt, kanalisiert durch Barrieren und Stellwände. Die im Schacht steckende U-Bahn hatte fast keinen Schaden genommen und rollte, als die Gleise wieder einigermaßen frei waren, langsam aus der Gefahrenzone.
Es war ein seltsames Bild, als die Bahn in die Station Rosa-Luxemburg-Platz einfuhr, aber kaum einer der Fahrgäste über die Rettung jubelte, da fast alle über ihre Handys und Smartphones Interviews gaben. Mehrere von ihnen wurden von Chauffeuren erwartet, die sie dann auf schnellstem Wege in verschiedene Talkshows beförderten. Den Mann mit den angeblichen Terminen in Leipzig erwartete dagegen seine Frau. Journalisten eines Privatsenders begleiteten sie, um das Wiedersehen live filmen zu können. Der Mann war still und gar nicht glücklich, die Frau ziemlich laut. Für den Sender hatte sich der Aufwand gelohnt.
Chantal freute sich. Die Aufführung ihres Stückes wurde am nächsten
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