Der König von Berlin (German Edition)
Vorschlag zu beschäftigen.»
Lanner sank langsam zurück auf den Stuhl. «Aber am Ende haben sie zwei der Lehrerparkplätze in ein Kräuterbeet umgewandelt.»
«Stimmt, wir konnten es kaum glauben. Nachdem du dich wirklich zwei Jahre lang mit dieser Forderung lächerlich gemacht, alle Lehrer genervt und uns viel Freude bereitet hast, haben die doch tatsächlich irgendwann zwei Parkplätze hergegeben. Die müssen dich gehasst haben.»
Ein paar Minuten lang sagten beide nichts mehr. Georg machte den Salat an und schüttete die Nudeln in das kochende Wasser, während Lanner ausgiebig den Küchenboden betrachtete. Erst als Georg zwei Flaschen Bier öffnete und sich zu Lanner an den Küchentisch setzte, nahm dieser das Gespräch wieder auf. «Und, wie ist es bei dir so gelaufen? Also in den letzten Jahren.»
«Siehste doch. Tagsüber vergifte ich Ratten, abends koche ich für meine Vermieterin, und nachts schlafe ich allein. Immer. Kurz gesagt: Ich lebe meinen Traum.»
«Bist du nicht eigentlich nach Berlin, um zu studieren?»
«Klar, ich hab ja auch lange studiert. Mehr als fünfzehn Jahre.»
«Was denn?»
«Alles. Ich hab praktisch alles studiert.»
«Nein, ich meinte: welches Fach?»
«Das meinte ich auch. Ich habe praktisch alle Fächer studiert. Germanistik, Romanistik, Amerikanistik, Geschichte, Mathematik, BWL, Politik und was weiß ich nicht noch. Ich war überall mal eingeschrieben, allerdings immer nur für zwei, drei Semester. Sogar Medizin habe ich gemacht, wenn auch nur als Gasthörer.»
«Hat dich denn kein einziges dieser Fächer richtig interessiert?»
«Doch, alle. Aber ein anderes Fach, natürlich eins, was ich gerade nicht studiert habe, hat mich eben noch etwas mehr interessiert. In der Regel, bis ich es dann studiert habe, danach hat mich quasi sofort wieder etwas anderes noch mal mehr interessiert. Ich habe gut fünfzehn Jahre studiert und in dieser Zeit überlegt, was ich eigentlich werden möchte, nur um dann am Ende Kammerjäger zu werden, also etwas, was ich ganz sicher nicht wollte.»
Georg hörte seine eigenen Worte und konnte es kaum fassen. Was redete er da? Und warum? Warum erzählte er ausgerechnet dem dämlichen Lanner die unangenehmen Wahrheiten über sein Leben, die er normalerweise sogar vor sich selbst geheim zu halten versuchte? Vermutlich, weil er sonst niemandem so ein langweiliges, selbstmitleidiges Gerede zumuten wollte. Nur Lanner, dieser Blödmann, der hatte es nicht anders verdient, der hatte sich selbst hierher eingeladen und ging ihm jetzt auf die Nerven, dafür konnte er auch ruhig mit Georgs todlangweiliger Lebensgeschichte traktiert werden. Er würde ihn nutzen als Mülleimer für sein Scheißleben, und dann würde er diesen Mülleimer, also Lanner, runterbringen, und weg wäre er und sein eigenes deprimierendes Gerede mit ihm.
Lanner hingegen schien überrumpelt von Georgs Offenheit. Er versuchte, sich an die psychologische Schulung zu erinnern, die er während seiner Ausbildung gemacht hatte. «Aber du hast doch sicherlich trotzdem viel gelernt während deines Studiums. Es geht ja nicht nur um den Abschluss, es geht auch um die Erfahrungen. Vielleicht kannst du nichts so richtig, aber dafür hast du immerhin auf fast allen Gebieten so eine grundsätzliche Ahnung. Daraus wird sich irgendwann schon etwas ergeben, du darfst nur nicht den Glauben, die Hoffnung verlieren.»
Spätestens nach diesem Satz war Georg klar, der Mülleimer würde sich wehren. Er würde ihn nicht so einfach von der Erbärmlichkeit seines Lebens erzählen lassen. Er würde mit Verständnis und Trost zurückschlagen. Und wenn es etwas gab, was seine Existenz noch unerfreulicher erscheinen lassen konnte, dann waren es Ratschläge oder mutmachende Worte von Carsten Lanner. Es durfte auf keinen Fall die gegenseitige Verachtung abhandenkommen, also zischte er: «Na, das sagt der Richtige!»
«Bitte?» Lanner wirkte irritiert.
«Na hier, ‹Hoffnung nicht verlieren›, ‹irgendwann wird sich schon was ergeben›, und das von einem, der seit seinem zehnten Lebensjahr einen genauen und straffen Karriereplan verfolgt. Wie lange hattest du denn schon vor, Hauptkommissar zu werden?»
«Seit ungefähr zwanzig Jahren, aber was hat das mit dir zu tun?»
«Nichts. Gar nichts. Du hast überhaupt gar nichts mit mir zu tun. Und das ist auch gut so.»
Im letzten Moment war es Georg gelungen, zum üblichen Umgang zurückzufinden, woraufhin sich aber auch Lanner entschloss, auf weiteres taktisches
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