Der König von Berlin (German Edition)
anzubieten, geschweige denn das Glas zu irgendeinem Tisch zu bringen.
«Sie können sich hinsetzen, wo Sie wollen. Nur nicht an den Stammtisch. Der ist reserviert.»
Carola Markowitz beugte sich herunter zur Theke, auf der das Glas stand, und trank einen großen Schluck ab, um es dann, ohne zu plörren, transportieren zu können. Als sie abschlürfte, überkam sie ein warmes, heimeliges Gefühl. Ein Augenblick Kindheit. Sie erinnerte sich, wie sie früher mit ihrem Vater in Berliner Eckkneipen Cola geschlürft hatte. Ohne Eis und Zitrone wie hier, obschon das eigentliche Déjà-vu wohl eher vom unverkennbaren, leichten Spülwassergeschmack herrührte.
Der Wirt verschwand in der Küche, und sie suchte sich einen Tisch, von dem aus sie einen guten Blick auf die Straße hatte. Wo steckte Lanner bloß? Was trieb der nur so lange? Und wieso ging er nicht ans Telefon? Der Wirt hatte den Eindruck gemacht, als habe er sie erwartet. Also, als habe er Polizei erwartet. Vielleicht wegen Kaminski? Wartete er am Ende schon seit einem halben Jahr auf die Polizei? Markowitz wünschte sich jetzt jedenfalls, dass Lanner endlich einträfe. Sie holte die Tabletten aus der Sakkotasche, drückte eine aus der Verpackung und schluckte sie mit Cola herunter.
In der Küche ging das Radio an. Sie lächelte, das war wohl etwas, was alle Landgasthäuser hier gemeinsam hatten. Sobald man anfing zu kochen, wurde auch das Radio eingeschaltet. Sie war in den letzten Jahren viel durch Brandenburg gefahren, und Brandenburg gefiel ihr gut. Die Orte, die Menschen, die Landschaft, und ständig dudelte in den Küchen der Gasthäuser das Radio, wie hier. Die Nachrichten kreisten um die Rattenplage in Berlin und den Angriff der letzten Nacht. Es gebe einen neuen Rattenjägerchef mit vielversprechenden Plänen, und direkt nach seiner Amtseinführung hätten sich die Ratten anscheinend zurückgezogen.
Der Wirt hörte all diese Berliner Neuigkeiten aber schon gar nicht mehr. Das Radio dudelte, und die Fritten brutzelten ganz allein vor sich hin. Er stand längst mit all seinen Mitarbeitern, also allein, vor dem Hinterausgang und telefonierte: «Ja, hier ist Mike. Es ist so weit … Na, was schon? Es ist jemand gekommen. Von der Polizei, aus Berlin … Nein, eine Frau … Ja, alleine, obwohl sie behauptet, dass noch ein Kollege kommt, aber ich weiß nicht, vielleicht sagt sie das auch nur … Ich glaube, die weiß gar nichts oder nicht viel. Die wirkt auch nicht sehr offiziell … Was? … Na, eben nicht sehr offiziell, nicht so wie ’ne richtige Kommissarin, wie im ‹Tatort› oder so, sondern mehr so wie ’ne Tippse oder so was … Vielleicht weiß überhaupt keiner, dass die hier ermittelt, kann schon sein. Vielleicht ist das für die nur so eine Nebenspur. Das lassen die dann routinemäßig von einer Assistentin abchecken, kann sein, aber das kriegen wir schon raus. Oder die ist wirklich auf eigene Faust rausgefahren, und keiner weiß was davon, das könnte ich mir auch vorstellen, also außer dem Kollegen, wenn’s den denn überhaupt gibt … Ja, ist ja auch egal, also, ich passe hier auf, und du sagst allen Bescheid … Aber unbedingt, ich will, dass alle kommen, alle, die dabei waren. Das geht hier jeden an. Da kann sich keiner davonstehlen. Alle oder keiner … Ach was, da wird schon kein anderer Gast kommen. Woher denn? Und wenn, dann werden wir das Problem schon auch noch lösen. Ruf du einfach alle ins Lokal, so schnell wie möglich. Wir haben das zusammen angefangen, wir bringen das auch zusammen zu Ende.»
H auptwachtmeisterin Simon und Wachtmeister Schürrmann versuchten, die ältere Dame zu beruhigen, aber Claire Matthes sah überhaupt keinen Anlass dafür, ruhiger zu werden.
«Ich habe kein gutes Gefühl hierbei. Überhaupt kein gutes Gefühl. Warum ist denn der junge Herr Kommissar nicht gekommen? Der ist doch eigentlich mit diesem Fall befasst.»
«Mit welchem Fall denn?»
Ramona Simon wusste nicht recht, was sie von dem Ganzen halten sollte. Eigentlich waren nur drei eingeschlossene Personen gemeldet worden. Deshalb war sie mit ihrem Kollegen zur Firma Machallik gefahren. Doch sie kam weder an die eingeschlossenen Personen heran, noch verstand sie die völlige Verzweiflung der Sekretärin.
«Na, der Fall Machallik!» Jetzt wurde Frau Matthes auch noch ungehalten: «Der Mordfall Erwin Machallik! Haben Sie davon etwa nie was gehört?»
«Doch natürlich, aber ich bin hergeschickt worden, weil angeblich drei Personen
Weitere Kostenlose Bücher