Der König von Berlin (German Edition)
hatte bereits die Direktion 5 in der Friesenstraße angerufen. Die wären doch garantiert sofort verständigt worden, wenn mit ihrem Fahrzeug was passiert wäre.
Nein, mit einiger Sicherheit verfolgte Lanner wieder irgendeinen eigenen, verschrobenen Plan. Er war einfach kein Teamplayer. Bestimmt hatte er wieder eine Idee gehabt, wie er persönlich etwas erreichen konnte. Einen Einfall, den er jetzt in aller gebotenen Rücksichtslosigkeit, speziell ihr gegenüber, verfolgte. Mehr und mehr setzte sich dieser Gedanke bei ihr fest, und sie spürte, wie sie von Sekunde zu Sekunde ärgerlicher wurde.
Wahrscheinlich ist er direkt nach Wilhelmsfelde gefahren, hat nicht auf sie gewartet, sondern die fehlenden Puzzleteile auf eigene Faust zusammengesucht, und ist nun mit Vollgas unterwegs nach Berlin, um sich dort als großer Held feiern zu lassen. Als der brillante Hauptkommissar, der diesen verzwickten Fall innerhalb kürzester Zeit und quasi im Alleingang aufklären konnte. Carola Markowitz fasste sich an den Kopf. So ergab plötzlich alles einen Sinn. Deshalb reagierte er nicht auf ihre Anrufe, deshalb beobachteten die Leute sie schon, weil sie wussten, dass da noch jemand kommt, deshalb konnte sie natürlich auch ewig auf Lanner warten. Niemals würde der kommen, eben weil er ja schon längst wieder weg war.
Sie schlug mit den Händen gegen das Lenkrad. Dass sie da nicht eher draufgekommen war – wieso hatte sie diesem Blödmann nur wieder vertraut? Aber egal, noch war nicht alles verloren. Erst einmal musste sie erfahren, was er erfahren hatte. Sie musste also in dieses Gasthaus. Vielleicht würde sie sogar noch etwas rausbekommen, das dieser Möchtegernheld übersehen hatte. Etwas, das ihr einen Vorteil verschaffen könnte. Mit Schwung stieß sie die Wagentür auf und sprang heraus. Sie war schon auf halbem Weg, als sie die Zentralverriegelung klacken ließ. Kurz vor der Tür sah sie im Augenwinkel noch mal, wie sich die Gardine bewegte. Sie blieb stehen und atmete tief durch. Frische Luft. Eine gute Idee. Hätte sie gewusst, für wie lange dies ihre letzte frische Luft war, sie hätte sicher noch ein zweites und drittes Mal so tief wie möglich eingeatmet.
S ein Herz raste. Welchen vernünftigen Grund konnte es hierfür geben? Was wollten diese Frauen von ihm? Wo brachten sie ihn hin? Von einem Hauptkommissar der Kriminalpolizei hätte man wohl ein bisschen mehr Gegenwehr erwarten dürfen, zumindest eine Spur Geistesgegenwart und Kampfesmut. Als die Frauen aus dem Wagen gesprungen waren und die Waffen auf ihn gerichtet hatten, hatte er einfach nur die Hände gehoben. Als sei er ein verängstigter Einbrecher und diese Ladys die Polizei. Aber die mussten sich nicht an irgendwelche Gesetze halten. Das war ihm mittlerweile klar. Die waren vollkommen frei.
Seine Handgelenke schmerzten. Mit seinen eigenen Handschellen hatten sie ihn gefesselt. Wie demütigend. Er schwitzte, die Luft im Kofferraum war furchtbar. Er hatte einen Sack über dem Kopf und Klebeband auf dem Mund. Zuerst hatte er gedacht, er würde ersticken, aber dann doch einen flachen, ausreichenden Atemrhythmus gefunden. Dafür schmerzte sein Rücken. Nein, ihn schmerzte alles, jede Stelle seines Körpers, so wie er gegen die Kofferraumwände, gegen Warndreieck, Verbandskasten und was sonst noch alles geschleudert wurde.
Wer waren diese Frauen? Wo kamen sie her? Woher hatten sie gewusst, wo er war, wo er das doch nicht einmal selbst gewusst hatte? Hatte es mit dem Machallik-Fall zu tun? Oder dem Kaminski-Fall? Oder mit Rimschow? Spielte der ein doppeltes Spiel? Immerhin hatte er ihn auf diese Glaanow-Odyssee geschickt. Oder war es jemand ganz anderes? Ein Feind, von dem er bislang nicht mal was geahnt hatte? Und was in Gottes Namen wollten diese Frauen von ihm? Hatten die Verleger sie beauftragt? Ist der Literaturbetrieb am Ende weitaus krimineller, als er es sich überhaupt vorstellen konnte? Oder war es Dierksen, der Geflügelbaron, den er in Cloppenburg drangekriegt hatte? Sein großer Fall, der ihm jetzt doch noch zum Verhängnis wurde. Dierksens Rache. Oder die seiner Freunde. O ja, denen war so was ohne weiteres zuzutrauen. Falls die es waren, war er praktisch schon tot. Vielleicht würden sie ihn bis nach Cloppenburg transportieren, dann wäre er auch tot, die Fahrt würde er nicht überleben. Sie waren bereits ewig unterwegs, wobei die Zeit wohl auch ziemlich langsam vergeht, wenn man gefesselt und in Todesangst im Kofferraum liegend über
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