Der König von Berlin (German Edition)
holprige Landstraßen gefahren wird. Kein Wort hatten die Frauen gesagt. Nicht ein einziges Wort. Alles war völlig lautlos vonstattengegangen. Wenn er darüber nachdachte, kam ihm das reichlich unwirklich vor. Am liebsten hätte er auch gar nicht mehr nachgedacht. Am liebsten wäre er jetzt einfach ohnmächtig geworden, er hatte sowieso keine Kontrolle mehr über das, was geschah. Aber nicht einmal das gelang ihm, nicht einmal seinen Körper konnte er beherrschen. Das Herz raste, und auch die Gedanken jagten panisch durch den Kopf, er konnte sie schlicht nicht daran hindern.
Vielleicht hatte das alles auch gar nichts mit seinen Fällen zu tun. Vielleicht waren es einfach Wahnsinnige, die ohne Auftraggeber und tiefgründigen Plan arbeiteten. Schlichte Sadisten. Oder Jäger, die Opfer für Sadisten suchten. Wie in diesem Film «Hostel». Oder Satanisten, die jemanden für ein Ritual brauchten. War heute eigentlich Vollmond? Oder Neumond? Lanner versuchte, sich zu beruhigen und zuversichtlich zu sein. Doch er musste feststellen, dass dies in seiner Situation ein unmögliches Unterfangen war. Die Gedanken rasten und rasten, und nur eines wusste er mit Gewissheit: Die wirklichen Probleme würden erst beginnen, wenn sich der Kofferraum wieder öffnete.
C arola Markowitz war fast ein wenig enttäuscht gewesen, als der Wirt ihr mitgeteilt hatte, sie sei heute sein erster Gast. Damit war die ganze schöne Theorie über Lanners Alleingang verpufft wie ein Diätvorhaben im Schokoladenmuseum. Dennoch schaffte sie es nicht, sich um den Kollegen zu sorgen. Zu präsent war noch der Ärger und zu stark die Ausstrahlung der Gaststätte und des müde wirkenden Wirtes. Eine robuste, durchaus ansteckende Melancholie ging von beiden aus.
Genau genommen machte der Wirt, ein kräftiger, etwa ein Meter achtzig großer Mittvierziger mit deutlich zu langen, im Prinzip mal blond gewesenen Haaren, die im Halbkreis von seiner Glatze hingen, nicht den Eindruck, als hätte er heute überhaupt einen Gast erwartet. «Hier war keiner», hatte er gesagt und nach einer kurzen Pause auch noch: «Ich bin allein.» Wobei er dies auf eine Art und Weise sagte, die eine sehr viel grundsätzlichere Information transportierte. Er war nicht nur jetzt in dieser Sekunde allein. Er war es auch an diesem Tag, in dieser Gastwirtschaft, in diesem Leben.
«Wollen Sie etwas essen?» Er stellte seine Frage, so wie man eine Frage stellt, bei der die Antwort ohne jede Bedeutung ist.
«Haben Sie denn überhaupt schon geöffnet?»
«Wenn ich da bin, ist auch offen. Sie können alles bestellen.»
Er zeigte auf eine braune DIN-A5-Plastikmappe, die Speisekarte. Sechs laminierte Seiten mit erstaunlich vielen Gerichten und Getränken. Es war diese Art Speisekarte, die man vornehmlich in Gaststätten findet, in denen es dem Wirt wohl im Großen und Ganzen egal ist, welche Gerichte er eigentlich anbietet. Was in dieser irgendwann, irgendwo mal gedruckten Karte steht, wird halt angeboten, und wenn jemand was davon bestellt, dann wird das auch gekocht, irgendwie.
«Sie können alles bestellen. Ich habe alles da. Also in der Tiefkühltruhe. Dauert nur einen kleinen Moment. Denn bei mir wird frisch gekocht. Da lege ich Wert drauf.»
Markowitz zögerte, ob sie die Formulierung «frisch gekocht» kommentieren sollte, wo doch alles aus der Tiefkühltruhe kam, ließ es aber, da solch ein Einwurf zu nichts geführt hätte. «Eigentlich warte ich nur auf einen Kollegen, mit dem ich mich hier treffen wollte.» Aus irgendeinem Impuls heraus zeigte sie dem Wirt ihre Polizeimarke. Sie hatte sich vorher nicht überlegt, ob sie besser inkognito bleiben oder mit offenen Karten spielen sollte, das hatte sie mit Lanner noch absprechen wollen. Aber jetzt sagte ihr eine innere Stimme, der Wirt sollte ruhig wissen, warum sie hier war. Der schien jedoch kein bisschen überrascht oder auch nur interessiert.
«Na ja, auch Polizisten haben ja Hunger und Durst. Bis der Kollege kommt … Vielleicht will der dann auch was.»
Markowitz konnte sich nicht motivieren, in die Speisekarte zu gucken, und bestellte einfach eine mittlere Portion Pommes mit Ketchup und Mayo, dazu eine große Cola. Der Wirt nickte zufrieden und machte die Cola direkt. Er holte die Flasche aus dem Kühlschrank, stellte ein 0,4-Glas vor Markowitz und goss es bis zum Rand voll. Aus der Art, wie er «Zum Wohl!» sagte, konnte die Kommissarin zweifelsfrei schließen, dass er nicht die Absicht hatte, dazu noch Eis oder Zitrone
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