Der König von Berlin (German Edition)
Telefonieren gewöhnt, dass sie davon nicht lassen mochte. Früher hatte sie der fragwürdigen Logik angehangen, dass sie, wenn es nachts besonders günstig war zu telefonieren, umso mehr sparen würde, je länger sie telefonierte. So wie andere annehmen, dass, wenn man durch Salatessen schlank wird, ein großer Salat schlanker macht als ein kleiner. Toni versuchte schon lange nicht mehr, ihr solche Dinge auszureden. Es führte nur zu endlosen Diskussionen, an deren Ende er seiner Mutter doch wieder recht gab, was sie noch zusätzlich verwirrte, da sie ja eigentlich von Anfang an im tiefsten Innern wusste, dass sie im Unrecht war.
Auch spürte Toni, wie gut ihr diese nächtlichen Telefonate taten. Seit Wochen schon wurde sein Vater nur noch von Geräten am Leben gehalten. Selbstverständlich bewahrte Ivonna Karhan dennoch Haltung. Tapfer führte sie alleine das kleine Schreibwarengeschäft in Breslau und verbrachte zudem viele Stunden am Bett ihres Mannes. Sie hätte sich niemals beklagt, selbst bei Toni beschwerte sie sich nicht über ihr Schicksal, sondern schimpfte einfach nur auf die Ärzte, die Schwestern, das Gesundheitssystem, die Regierung, die mittlerweile absurden Preise für gute Graphitstifte und auf die seelenlosen Schreibwaren-Großhändler an der polnisch-deutschen Grenze. Außerdem, sagte sie, habe sie immer mehr Mäuse im Garten. Wann er denn mal zum Vergiften vorbeikomme. Frau Jenacek, die Nachbarin, würde auch einen Kuchen backen. Für sie solle er dann auch ein schönes Gift mitbringen. Also, für ihren Garten natürlich.
Die gepflegte junge Frau im Empfangsbereich des Clubs führte ihn direkt zu Frau Dr. Mierwald. «Oh, Herr Karhan, haben Sie es ohne Probleme gefunden? Die anderen Herren sind bereits alle in der Sauna, aber Sie können einfach dazustoßen. Es ist alles für Sie vorbereitet.»
Toni fühlte sich gleich noch müder. «Oh, Sauna ist nicht gut. Warte ich lieber, bis Sauna fertig.»
«Ach herrje», Jessica Mierwald lachte, «das kann aber ziemlich lange dauern. Zumal die Herren hinterher sicher noch ins Entspannungsbecken gehen. Handtücher, Bademantel, Schlappen, es liegt alles parat. Es wird Ihnen guttun. Sie sehen sehr gestresst aus.»
Obwohl er ahnte, dass sein Widerstand aussichtslos war, ließ Toni nichts unversucht. «Hab ich nicht viel Zeit. Muss nur kurz sprechen Bürgermeister. Gehe schnell rein, rede kurz und wieder raus. Kann natürlich Schuhe ausziehen. Aber sonst … Hitze macht mir nichts. Ist gut.»
Ein Strahlen huschte über Dr. Mierwalds Gesicht und blieb dann, leicht gedimmt, in ihren braunen Augen stehen. «Selbstverständlich, Herr Karhan, machen Sie es einfach so, wie Sie es für richtig halten. Ich will Sie auch gar nicht umstimmen, nur eines sollten Sie bedenken –»
Als Toni knapp zehn Minuten später in Bademantel und Schlappen in die Sauna trat, versuchte er sich noch verzweifelt zu erinnern, was genau Jessica Mierwald jetzt eigentlich zu ihm gesagt hatte. Er schaffte es nicht, aber in einem war er sich sicher: Diese junge Frau argumentierte noch besser und überzeugender als seine Mutter, und das wollte wirklich was heißen.
«Ah, der Herr Karhan!» Toni hatte die Tür noch nicht geschlossen, da stellte Bürgermeister Koppelberg ihn der Saunarunde schon vor: «Das, meine Herren, ist also Toni Karhan, der neue oberste Rattenjäger der Stadt.» Er sagte es, als erwarte er eine Fanfare am Ende des Satzes. Die Männer nickten Toni jedoch nur verhalten zu. Toni wusste, egal worüber sie auch gesprochen hatten, in dem Moment, wo sie ihn durch die Glasscheibe gesehen hatten, war das Gespräch abrupt verstummt. Da ihm nichts Besseres einfiel, sagte er das Naheliegendste: «Guten Abend.»
Den Bürgermeister, den Innensenator, Dr. Kersting und den Polizeipräsidenten erkannte er sofort. Bei den anderen fünf Männern war er sich nicht ganz sicher.
«Soso, dann wollen Sie hier jetzt wohl Erwin Machalliks Platz einnehmen?» Schroff, regelrecht missbilligend war Kerstings Begrüßung ausgefallen. Toni erkannte nun auch den Mann neben dem Anwalt. Manche Menschen sehen ja, wenn sie schwitzend und nackt in der Sauna sitzen, ganz anders aus als beispielsweise im Büro oder auf Partys oder bei der Präsentation eines neuen Rattengifts. Aber dies war ohne Frage Herbert Maschmann, der legendäre Bauunternehmer. Selbst hier in der Sauna, wo seine Haare nicht so locker und voll wirkten, sondern nass herunterhingen, sah der hagere, muskulöse, hochaufgeschossene
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