Der König von Berlin (German Edition)
Die Hosentaschen hatte aber auch er vollgestopft.
Er nickte Carola zu und rief in Richtung Stammtisch: «Alles klar?!» Die Männer bewegten ihre Köpfe ein wenig unkontrolliert, womit sie wohl eigentlich Zustimmung signalisieren wollten, andererseits jedoch deutlich machten, dass bei ihnen irgendwie gar nichts klar war. Der Neue interessierte sich nicht im Geringsten für die Antwort und war längst auf dem Weg in die Küche, wo er lautstark den Wirt begrüßte. Der verschloss, sobald der Neue in der Küche war, die Tür zur Gaststube. Die beiden Männer am Tisch wirkten jetzt noch angespannter. Sie starrten zur Küchentür und schienen sehr daran interessiert, was die anderen da nun wohl so Dringendes, Geheimes zu besprechen hatten. Kein Wunder, Markowitz interessierte es ja auch. Wieder schaute sie aus dem Fenster. Keine Spur von Lanner.
Vielleicht sollte sie einfach gehen. Es war eine Schnapsidee gewesen, ohne Absprache – außer mit Lanner – hierherzufahren. Auch gerade, als sie mit dem Revier telefoniert hatte, hatte sie nicht gesagt, wo sie war. Auf einmal fand sie sich unsäglich dumm. Was hatte sie sich überhaupt dabei gedacht? Und warum hatte sie sofort ihre Marke vorgezeigt? Was, wenn diese Männer wirklich etwas mit Kaminskis Tod zu tun hatten? Wenn sie sogar dafür verantwortlich waren? Sie schaute noch mal zu den beiden am Stammtisch, und plötzlich bemerkte sie etwas in den Gesichtern, was sie wirklich beunruhigte: Da war Angst in ihren Augen. Kein Zweifel, echte, unübersehbare Angst.
Ein neuer Gedanke schoss ihr durch den Kopf. Vielleicht war Lanner doch schon hier gewesen. Hat gesagt, er sei Polizist und wegen des Kaminski-Falls da, und erfuhr dann tatsächlich Wesentliches über Kaminskis Tod. Aber im Anschluss ist er nicht zurück nach Berlin, um als großer Held gefeiert zu werden, denn er konnte überhaupt nirgendwo mehr hinfahren. Womöglich hat er noch gesagt, er sei nicht allein. Man werde ihn suchen. In Kürze schon würde eine Kollegin hier eintreffen. Vielleicht haben sie ihm geglaubt, vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall war es nicht mehr verwunderlich, dass der Wirt sie erwartet hatte. Deshalb hatte er ihr auch vorgeschlagen, etwas zu essen, um Zeit zu gewinnen, damit seine Kumpel, speziell der kleine, drahtige, noch erledigen konnten, was sie wohl noch zu erledigen hatten. Alles ergab auf einmal Sinn. Sie versuchte, ihren Atem zu beruhigen und klaren Kopf zu bewahren. Sie hatte wenig geschlafen, eigentlich gar nicht. Vielleicht sah sie auch nur Gespenster, verstieg sich in eine völlig unsinnige, abstruse Theorie. Sie sollte aber unbedingt aufstehen und gehen. Das wäre das Vernünftigste. Einfach raus zu ihrem Auto und wegfahren. Pommes und Cola könnte sie auch morgen noch zahlen. Morgen würde sie wiederkommen, mit Verstärkung und mit Lanner. Hoffentlich auch mit Lanner … Sie versuchte, ihre Gedanken zu sortieren. Gelassen aufstehen und rausgehen. Das sollte sie jetzt machen – oder hätte sie besser schon vor einer Minute machen sollen, dachte sie unwillkürlich, als nun der Wirt und sein Kumpel aus der Küche kamen und den Freunden am Stammtisch zunickten, die daraufhin zu den Fenstern gingen und die Rollläden runterließen. Markowitz beobachtete wie gelähmt den Wirt. Der ging gelassen zur Tür, verriegelte sie und steckte den Schlüssel in seine vollgestopfte Hosentasche.
E s war bereits dunkel, als Toni Karhan seinen Wagen auf dem schwach beleuchteten Parkplatz des Privatclubs in Zehlendorf abstellte. So unauffällig sein VW-Passat normalerweise auch war – hier, auf diesem Parkplatz, stach er heraus wie ein buntes Pony. Ein schäbiges buntes Pony allerdings. Neben all den Luxuskarossen und Limousinen kam es Toni vor, als wäre er mit dem Bollerwagen gekommen.
Er war müde. Die halbe Nacht hatte er sich mit den Aufzeichnungen und Plänen befasst, die ihm Frau Matthes gegeben hatte, und einen ersten Ansatzpunkt gesucht, um Machalliks System der Rattenpflege zu verstehen. Die andere Hälfte der Nacht hatte er mit seiner Mutter in Polen telefoniert. Also, genau genommen hatte sie mit ihm telefoniert. Er hatte eigentlich kaum etwas gesagt. Die Angewohnheit, nachts lange mit ihrem Sohn zu telefonieren, hatte Ivonna Karhan noch aus der Zeit, als die Gebühren nach 23 Uhr deutlich geringer waren. Mittlerweile hatte Toni selbstverständlich eine Flatrate und konnte rund um die Uhr zum selben Tarif telefonieren. Aber seine Mutter hatte sich so sehr ans nächtliche
Weitere Kostenlose Bücher