Der König von Berlin (German Edition)
war wie immer bereit, Verantwortung zu übernehmen: «Für meine Begriffe ist das Ganze hier jetzt ein Tatort oder zumindest ein Tatortumfeld und damit Sache der Spurensicherung. Das heißt für Sie, Hauptwachtmeisterin Simon, Sie folgen ab jetzt meinen Anweisungen.» Er machte eine kurze Pause, und als niemand, auch nicht die junge Polizistin, widersprach, legte er los: «Ich bestelle nun meine Leute her. Schürrmann, Sie bewachen die Tür, bis Sie abgelöst werden. Falls die Jungs sich das doch noch anders überlegen und rauskommen, sollte sie jemand in Empfang nehmen. Simon, Sie bringen Frau Matthes nach Hause und kümmern sich um die Dame. Sie, Frau Matthes, halten sich aber zu unserer Verfügung. Wir werden sicher noch Fragen haben. Und dann wollen wir mal sehen, ob sich diese Mutter aller Bunker nicht doch irgendwie für uns öffnet. Immerhin ist das auch die Zentrale der Rattenbekämpfung in dieser Stadt, und da haben wir ja noch so ein kleineres Problemchen. Wir brauchen diesen Zugang!»
Kolbe schaute kampfeslustig auf die gewaltige, buchenholzvertäfelte Sicherheitstür. Er kannte natürlich die Geschichten und Legenden über Machalliks Bunker. Deshalb wusste er auch, dass dort wahrscheinlich noch sehr viel mehr zu finden war als nur drei Leichen und Rattenbekämpfungspläne. Er wollte der Erste sein, der diese Geheimnisse sah. Aber unbedingt.
A ls Carola Markowitz von der Toilette zurückkam, saßen zwei weitere Gäste in der Gaststube. Der eine etwas größer, der andere etwas dicker als der Wirt. Beide waren in etwa sein Jahrgang. Auch sie trugen die Haare ein wenig zu lang, aber bei ihnen konnte man immerhin noch die Farbe, braun beziehungsweise schwarz, einigermaßen zuverlässig benennen. Sie waren, wie der Wirt, recht nachlässig gekleidet. Menschen, die ihre Kleidung vor allem tragen, damit sie nicht frieren, und weil man das eben so macht, also Kleidung tragen, und natürlich auch, damit sie Hosentaschen haben, die sie vollstopfen können. Mit Portemonnaies, Schlüsseln, Kleingeld, Taschenmessern und Taschentüchern, eben Kram. Alle hatten sie so vollgestopfte Hosentaschen. Jungs von Mitte vierzig mit vollgestopften Hosentaschen.
Carola Markowitz grüßte selbstbewusst, und die Männer nickten unsicher zurück. Wahrscheinlich hatte dieses Lokal nicht häufig Damenbesuch. Sie setzte sich an ihren Tisch. Niemand sprach ein Wort, nur das Radio dudelte unverdrossen in der Küche, wo der Wirt immer noch kochte. Er war erstaunlich lange mit dieser einen Portion Pommes beschäftigt. Selbst wenn er erst das Fett erhitzen musste, so lange dauerten Pommes beim besten Willen nicht.
Sie schaute zum Stammtisch. Wie die Männer, wohl Freunde, jeder ein Bier vor sich, dasaßen und nichts redeten. Vielleicht lag es an ihr. Vielleicht trauten sie sich nicht, in Anwesenheit einer fremden Frau zu sprechen. Gab es nicht so eine Religion, wo Männer in Anwesenheit von Frauen nicht redeten? Oder sprachen die Frauen nicht in Anwesenheit von Männern? Oder beides? Nein, das war dieser Orden, wo Frauen zwar grundsätzlich reden, aber nicht anwesend sein durften. Auch nicht einfach.
Die beiden Männer beobachteten sie. Also wenigstens das war erlaubt. Beobachten, eben so, wie man jemanden beobachtet, wenn man nicht will, dass derjenige, den man da beobachtet, merkt, dass man ihn beobachtet, obwohl doch alle, wirklich alle im Raum wissen, es wird beobachtet.
Carola Markowitz hatte sich schon unwohl gefühlt, bevor diese Männer da gesessen hatten. Nun hatte sich das noch mal verstärkt. Von der Toilette aus hatte sie auf dem Revier in der Friesenstraße angerufen, nach wie vor gab es nichts Neues von Hauptkommissar Lanner. Sie hatte die Kollegen gebeten, sein Fahrzeug anzupeilen, aber offensichtlich war der Sender jetzt doch hinüber. Die Peilung ergab immer wieder die alte Position. Ärgerlich. Es war schon eine Zumutung, die Verbrechen des digitalen Zeitalters mit Faustkeiltechnologien bekämpfen zu müssen. Oder hatte Lanner den Sender selbst außer Betrieb gesetzt, weil er etwas plante, das unentdeckt bleiben sollte?
Die Tür ging auf, und ein weiterer Mann kam rein. Er war deutlich kleiner und wohl auch etwas jünger als die anderen. Vor allem aber war er deutlich attraktiver, drahtig, fast sportlich, mit Igelfrisur und Dreitagebart. Seine Kleidung machte sogar den Eindruck, als hätte er sie bewusst gewählt. Zumindest passten die dunklen Jeans, das weinrote Sweatshirt und die blaue Kapuzenjacke irgendwie zu ihm.
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