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Der König von Havanna

Der König von Havanna

Titel: Der König von Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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als hätte er keine Knochen und wäre aus Gummi. Die Nachbarn und Passanten sahen aus sicherer Entfernung zu. Noch war keine Polizei da. Rey entfernte sich die Galiano hoch. Zwei Polizisten kamen angelaufen. Jemand hatte sie gerufen. Er ging nur wenige Schritte, dann setzte er sich im Park an der Ecke Galiano und San Rafael auf eine Bank. Er zog das Geld, das ihm der Alte gegeben hatte, hervor und zählte es. Dreiundachtzig Pesos. Er war reich. Nie zuvor in seinem Leben hatte er so viel besessen. Als ihm das klar wurde, kehrte der Appetit zurück. Er ging den Boulevard San Rafael hinunter. Er wollte etwas Warmes essen. Eine Frau verkaufte Pappschachteln mit Reis, Bohnen, Räucherfleisch und frittierter Süßkartoffel zu zwanzig Pesos.
    Auf dem Bürgersteig sitzend, hatte er in wenigen Minuten eine Schachtel voll verschlungen und drei Limonaden heruntergeschüttet. Uff. Er hatte einen starken Schwindelanfall und lehnte sich an die Wand. All das Essen plötzlich in seinem Bauch. Kurz darauf konnte er seinen Weg den Boulevard hinab fortsetzen. Er bog in die Águila ein und ging weiter bis zum Fraternidad-Park. Es war sehr dunkel. Als seine Augen sich daran gewöhnt hatten, entdeckte er, dass Leute auf den Bänken saßen. Schwule. Sie küssten sich, tuschelten, leckten sich, stöhnten, jammerten. Ein Autoscheinwerfer gab ein paar Sekunden lang Licht, und er sah einen von ihnen auf allen vieren im Gras, mit Schwanz im Arsch. Müde, wie er war, machte er es sich auf dem Boden bequem und schlief, gegen einen dicken Baum gelehnt, ein.
    Eine Weile später weckte ihn der Regen. Ein Platzregen mit Wind und Donner. Er wurde nass bis auf die Haut. Um ihn herum war keine Menschenseele. Alle hatten sich unter das Portal gegenüber geflüchtet. Verschlafen stand er auf, ging hinüber zum Portal, warf sich in eine Ecke und schlief wieder ein.
    Am Morgen war er immer noch klamm. Da fiel ihm der alte Säufer vom Vorabend ein. Vielleicht musste er eines Tages denselben Entschluss fassen und sich kopfüber hinunterstürzen, wenn er nicht mehr konnte. Er stand vom Boden auf und ging zurück über die Águila. In dieser Straße standen zwischen Dragones und San Rafael noch mehrere heruntergekommene, verlassene Gebäude. Darin konnte man gut übernachten. Er ging weiter die Águila hinunter und kehrte gegenüber vom Deauville zum Malecón zurück. Einen Moment lang setzte er sich auf die Brüstungsmauer, um auszuruhen, und nahm kurz darauf seinen Marsch wieder auf. Wenig später gelangte er an die Ecke, zu dem Haus, in dem er einmal gewohnt hatte. Wieder setzte er sich auf die Mauer am Malecón und konzentrierte sich auf das Treiben um ihn herum.

Nichts hatte sich verändert. Alles schmutzig, heruntergekommen. Die Leute saßen auf dem Bürgersteig an der frischen Luft, schwatzten, tranken Rum, hörten Musik. Niemand arbeitete. Jedes kleine Geschäft brachte mehr ein. Da musste man sich nicht für vier Pesos am Tag den Arsch aufreißen. Rey überquerte die Avenida und setzte sich in den kleinen Park an der Ecke, den man an der Stelle angelegt hatte, wo vor Jahren ein Gebäude eingestürzt war. Alle, die vorübergingen, bettelte er um etwas Kleingeld an. Niemand erkannte ihn wieder. Von der Stelle aus hatte er sein Haus und die Nachbarin gut im Auge. Er blieb eine ganze Weile. Nichts geschah. Niemand lehnte sich über die Brüstung. Ohne es noch einmal zu überdenken, verließ er seinen Beobachtungsposten und ging gelassen hinüber zur Eingangstür des Gebäudes. Er stieg die vier Stockwerke bis zum Dach hinauf und klopfte an die Tür. Die alte Nachbarin öffnete ihm. Er erkannte sie wieder, aber sie war unglaublich mager geworden. Diese einstmals dicke Frau mit prallem Busen war jetzt nur noch ein Sack Knochen. Als sie ihn sah, sagte sie zu ihm: »Ach, da sind Sie die ganzen Treppen hochgestiegen, um ein bisschen Geld zu erbetteln? Warten Sie.«
    Sie verschwand, kam gleich darauf mit ein bisschen Kleingeld zurück, tat es in die kleine Schachtel und wollte die Tür wieder schließen. Rey hielt sie mit einer Geste davon ab: »Fredesbinda, erinnern Sie sich nicht mehr an mich?« Die Frau sah ihn genauer an, nahm sich aber nicht viel Zeit.
    »Ich kann mich nicht erinnern.«
    »Ich bin Reynaldo, der von nebenan.«
    »Oh, mein Junge, bei deiner Mutter, komm rein …« Und sie trat zur Seite, um ihn einzulassen. Die Tür ging auf die Dachterrasse. Sie überquerte sie, vorbei an verrostetem Gerümpel, Hühnerställen und anderem Müll, der sich im

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