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Der König von Havanna

Der König von Havanna

Titel: Der König von Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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Ich bin voll bis obenhin.«
    »Was soll das heißen, du kannst nicht mehr? So was sagt man nicht … ein Mann sagt so was niemals.«
    »Okay, wenn ich kann, aber ich muss etwas tun … du bist mein Freund … jawohl, du bist mein Freund.«
    Und er umarmte ihn ganz fest.
    »Was soll das? Warum umarmst du mich?«
    »Weil du mein Freund bist … bis später.«
    Der Alte packte Rey am Arm und ging davon. Der andere Säufer blieb sitzen und starrte ins Leere. Der Alte lehnte sich in Reys Arme und sprach weiter, jedes Wort lallend. Er war ziemlich breit und schwankte von einer Seite zur anderen, immer kurz davor, hinzufallen. Ohne Unterlass schwatzte er weiter.
    »Du bist jung. Ich kann nicht mehr. Hilf mir …«
    »Wohin willst du?«
    »Sieh mal, ich habe dir mein ganzes Geld gegeben … alle haben mich verlassen … alle. Meine Töchter, die Enkel, meine Frau, die Männer meiner Töchter. Alle sind weg … und ich kann nicht mehr …«
    Er fing an zu schluchzen und umklammerte mit aller Kraft Reys Arm. Er führte ihn durch die Portale von Galiano.
    »Jetzt habe ich sogar mein Zimmer verloren, seit Tagen liege ich auf der Straße … also, ich habe alles verkauft, nach und nach, für Rum und Zigaretten. Man muss die Sorgen vergessen … aber ich kann nicht eine einzige vergessen. Weder haben sie je angerufen noch einen Brief geschrieben. Was habe ich Schlechtes getan? Hier und da mal ein Gläschen. Bin ich deshalb schon ein schlechter Vater, den man einfach zur Seite schiebt? Ich … ein schlechter Vater? Ich mag Rum. Was soll ich tun?«
    »Wohin sind sie alle?«, fragte Rey.
    »Weg, mein Junge, weg. Da, wohin alle gehen.«
    »Warum bist du nicht mit ihnen gegangen?«
    »Nee … ich muss nicht weg. Ich bin in Kuba geboren und werde in Kuba sterben.«
    Aus seiner hinteren Hosentasche zog er eine Flasche mit genügend Rum. Er hörte auf zu schluchzen und sagte mit einem bitteren Lächeln zu Rey: »Das ist meine spezielle Reserve aus meiner Privatkellerei.«
    »Aus was?«
    »Du bist ignorant und unkultiviert. Mit Ignoranten kann man nicht reden. Kannst du lesen?«
    »Ach, komm schon, Alter, lass die Sprüche. Ich hau jetzt ab.«
    Der Alte hielt ihn zurück.
    »Nein, du kannst jetzt nicht gehen! Mein ganzes Geld habe ich dir gegeben … warte einen Moment … du kannst jetzt nicht gehen. Hilf mir hoch in meine Wohnung auf dem Dach.«
    »Hast du nicht gesagt, du hättest deine Wohnung verloren?«
    »Ja, aber irgendwie lebe ich da immer noch … Komm, gehen wir hinauf aufs Dach.«
    »Wo ist das?«
    »An der nächsten Ecke. Komm schon, ich schaffe die Treppen nicht allein.«
    Sie gingen weiter und betraten ein altes, heruntergekommenes Gebäude, das einstmals elegant und herrschaftlich gewesen war. Jetzt war da eine Grube in der Mitte der Eingangshalle, aus der Scheiße sickerte, und eine schöne weiße Marmortreppe, schmutzig und verfallen wie alles andere. In der Luft hing der Geruch von Marihuana. Rey schnupperte, und das gefiel ihm. In einer dunklen Ecke hockten ein Schwarzer und eine Schwarze, beide sehr jung, rauchten und küssten sich und leckten einander genüsslich. Der Alte sah über alles hinweg. Rey sah zu und war sogleich erregt. Dann stiegen sie langsam die Treppen hinauf. Rey schob den Alten an den Schultern, so dass er nicht hinfiel. Unter großer Anstrengung kamen sie oben an. Fünf Stockwerke. Der Alte begann zu schluchzen.
    »Warum heulst du? Wohnst du nicht hier oben?«
    »Nein, wir müssen weiter aufs Dach.«
    Durch ein Türchen traten sie hinaus auf die Dachterrasse. Nach all den Mühen war Rey erfreut über die frische Luft. Es war bereits stockfinstere Nacht und merklich kühler geworden. Interessiert sah er sich die Umgebung aus dieser Höhe an. Der Alte schluchzte immer weiter. Er ergriff erneut die Flasche und nahm einen tiefen Schluck. Dann hielt er sie Rey hin: »Hier, nimm, behalte sie und bete zu San Lázaro für mich.«
    Er stieg mit einem Bein über die Brüstung und stürzte sich kopfüber hinunter.
    »Um Himmels willen! Aber …«
    Rey wollte sich gerade vorbeugen und hinunter auf die Straße sehen. Aber nein. Er dachte nur noch an Flucht. Zitternd vor Angst stieg er die Treppen hinunter, so schnell er konnte. Der Hunger und die Anstrengung hatten an seinen Kräften gezehrt. Unten angekommen machte er das Gesicht des halb verschlafenen Idioten, das er zum Betteln aufsetzte. Da lag der Alte. Er war mit dem Kopf zuerst aufgeprallt, und sein Schädel war zertrümmert. Er lag da in grotesker Pose,

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