Der König von Havanna
dagestanden hatte, hinter dem Hühnerstall, ohne zu wissen, was tun. Seine Augen füllten sich mit Tränen. »Wie entsetzlich! Wie geschieht mir? Warum ist mir das passiert? Ich will sie vergessen und kann nicht. Ich scheiße auf Gott, verdammt noch mal! Ich will vergessen und kann nicht. Meine Dachterrasse da hinten und ich hier als Vagabund und weiß nicht, wohin. Was mag wohl aus den Tauben, den Hunden und den Hühnern geworden sein?« Die Tränen brachen mit aller Kraft hervor, und er konnte nicht aufhören zu weinen, wie ein Kind. Dort blieb er mehrere Stunden, deprimiert, kraftlos, und dachte an seine Familie, die mit einem Schlag ausgelöscht worden war. Er saß da und hielt den Heiligen ohne Kopf in der Hand. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich hilflos, verlassen, einsam. Und das machte ihn sehr wütend. Seine Tränen versiegten. Selbstzerstörerisch schlug er sich an den Kopf und ins Gesicht. Er will sich nicht mehr erinnern. Er kann es sich nicht erlauben. Und er fährt fort, sich voller Erbitterung zu schlagen. Er greift nach einem Stein und schlägt noch härter zu. Es tut ihm sehr weh, er verliert alle Kontrolle. Die Wut darüber, dass er geweint hat, dass er sich erinnert hat, bringt ihn dazu, sich zu schlagen, bis Blut kommt.
Erschöpft, verwundet, blutüberströmt und schmerzerfüllt hört er auf. Er ist noch immer voller Wut und Hass und denkt an seine Mutter, die ihn geprügelt und angeschrien hatte: »Hör auf zu flennen, verdammt noch mal! Hör auf zu flennen! Männer heulen nicht!«, ihn aber windelweich schlug. »Beim nächsten Mal haue ich mir den Kopf gegen eine Mauer, bis ich tot bin. Ich muss einfach alles vergessen«, dachte er. Warum war nur so viel Scheiße über ihn hereingebrochen? Er konnte es nicht verstehen. Zum ersten Mal dachte er über alles nach. Er konnte nicht heulen und sich gehen lassen wie ein kleiner Junge. Er war ein Mann, und Männer dürfen keine Schwäche zeigen. Männer müssen entweder hart sein oder sterben.
Der Abend brach an, als er endlich aufstehen konnte, aber er hatte weder Hunger noch Durst. Und er stieg nicht von der Anhöhe herunter, sondern blieb dort, zu Füßen der Statue. Er sah zu, wie die spärlichen Lichter der Stadt angingen. Es war eine schöne Stadt. Um seine Dachterrasse herum war nur Dunkelheit. Er konnte sie nicht mehr sehen. Immerhin hatten die Tränen aufgehört. Er hatte viel geweint, während er sich erinnerte. Und es gab nichts, was er tun konnte. Gar nichts. Er konnte nur weiterleben, bis die Reihe an ihm war.
In der Nacht schlief er dort oben. Er schlief schlecht, wachte mehrmals auf und sah immer auf die Stadt hinunter. Ein ums andere Mal. Sein Blick wanderte immer wieder zu dem Fleckchen, das einmal sein Viertel gewesen war. Am nächsten Tag ging er hinunter zur Endstation und spazierte ein wenig durchs Dorf. Er aß ein paar Essensreste, die er in einer Cafeteria geschenkt bekam. Er sah furchtbar aus: abgemagert durch den dauernden Hunger, mit großen Rändern unter den Augen, das krause Mulattenhaar wild wuchernd, zerschlagen, voll blauer Flecken und Schrammen, verwundet an Wangen, Lippen und Stirn. Getrocknetes Blut überall und obendrein verdreckt und zerlumpt. Er war völlig kaputt. Die Leute sahen ihn mit einer Mischung aus Ekel und Mitleid an, ließen ihn aber nicht zu nahe an sich heran.
Als es Nacht wurde, stieg er wieder hinauf zum Christus. Jetzt weinte er nicht mehr. Mit wachen Augen sah er hinüber zu seinem Haus, und ihm kam die Idee, rüberzufahren und nachzuschauen, was aus allem geworden war. Als sie ihn abgeholt hatten, war er dreizehn gewesen. Jetzt war er sechzehn. Er erinnerte sich, dass die Nachbarin sehr nett gewesen war, die Mutter der kleinen Nutte, vielleicht würde sie ihm helfen können.
Er beschloss, die Bucht zu überqueren und seine ehemalige Wohnung aufzusuchen. In über drei Jahren hatte er sich sehr verändert. Man würde ihn nicht leicht wiedererkennen. Auch nicht seine Freunde aus der Nachbarschaft. Ob sie wohl noch immer Tauben züchteten? Die Zeit der Armen ist anders. Sie haben kein Geld und deswegen auch kein Auto, können nicht rumfahren oder reisen, haben keine guten Stereoanlagen, kein Schwimmbecken, können samstags weder ins Hippodrom noch ins Casino. Ein Armer in einem armen Land kann nur warten, dass die Zeit vergeht und ihm einmal die Stunde schlägt. Und in der Zwischenzeit, von seiner Geburt bis zu seinem Tod, versucht er am besten, sich keine Probleme einzuhandeln. Aber
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