Der König Von Korsika
auf den Bohlen zerbarst, sich gegen die schwere Eichentür werfend, das bunte Fensterglas einschlagend, daß die Handgelenke bluteten – oh, nein, stammelte er, laß es nicht geschehen sein, nicht wegen fünftausend Gulden -, mit jedem Schlag explodierten grelle Bilder von abgründiger, nie wieder
rückgängig zu machender Lächerlichkeit vor seinen Augen. Mehr noch als der Zelle wollte er der engen Kammer der Zeit entkommen, in deren Mausefalle er saß.
Das Echo seiner Inhaftierung entsprach dem publizistischen und gesellschaftlichen Interesse, das seine Unternehmungen in ganz Europa geweckt hatten. Wie ein Süchtiger verschlang Theodor jede Zeile. Er hielt die Zeitungen in zitternden Händen mit dick verbundenen Handgelenken. Er betrank sich an Genever. Er erbrach sich. Sein Magen war angespannt wie eine vibrierende Cellosaite. Zahnschmerzen setzten wieder ein. Ein Fieberanfall warf ihn aufs Bett. Er schwitzte und litt. Nicht so zugrunde gehen, dachte er. Wenn ich schon sterben muß, dann von eigener Hand. Das Erniedrigendste war der gesunde Appetit, den er an den Tag legte, kaum hatte das Fieber nachgelassen.
Mittlerweile hatten sich seine Schulden verfünffacht, denn der genuesische Konsul durchstreifte die Stadt auf der Suche nach alten, zu mobilisierenden Gläubigern, und jeder in Arrest verbrachte Tag produzierte einen weiteren, der sich in die Liste derer eintrug, die den Glauben verloren hatten und ihn jetzt bluten sehen wollten.
Theodor hatte den Strick – eine dicke Seidenkordel, die tagsüber den Himmel seines Bettes zurückband – bereits an der Decke des Arbeitszimmers befestigt, das Mittagessen war gebracht worden, so daß vor dem Tee keine Störung zu erwarten stand, die Mitarbeiter waren fortgeschickt. Er berührte, den grausigen Tod vorausfühlend, seinen Hals, und die warme Zartheit und leise pochende Lebendigkeit seiner Haut überwältigte ihn so sehr, daß er in Tränen ausbrach vor Mitleid mit diesem schönen, armen Körper, seinem einzigen Schutz und Versteck. Gerade ihn wollte er nun so mißhandeln, ihm Schmerzen zufügen und seine Haut, indem er sich selbst auslöschte, alleine lassen und zu schwarzer, schrumpelnder, stinkender Fäulnis verdammen. Nein, das konnte er diesem Leib nicht antun, dachte er
kopfschüttelnd, während seine Fingerspitzen noch immer behutsam über die großporige Haut unterhalb des Bartansatzes strichen.
Er sah die übermannshohen venezianischen Karnevalsfiguren vor sich, unter deren Umhängen sich kleine Männer und manchmal Frauen auf Stelzen verbargen, verkroch sich genauso in seiner Haut, die mit einem Mal viel zu groß war für ihn, und warf durch die Augenlöcher verstohlene Blicke nach draußen.
Aber man gewöhnt sich an alles, selbst an Zeitungsartikel, und nach drei Wochen Arrest und mit fortschreitender Zeit langsam abflauender Lektüre mußte Theodor feststellen, daß seine Fähigkeit, zu denken und zu planen, zurückkehrte. Einige ermutigende schriftliche Zeugnisse, ein Brief Costas sowie mehrere Artikel, deren respektvoller Ton die anfängliche Häme ausbalancierte, taten ein übriges, ebenso Jacob Cats’ Rückkehr aus England, der versprach, die Kaution zu übernehmen.
Am siebten Mai verließ der König von Korsika, sich den Weg durch eine Menschentraube bahnend, seine Arrestzelle im Stadhuis. Cats gab ein Fest zu seinen Ehren, auf dem Theodors Blick zwischen all den schönen jungen Frauen auf eine Matrone fiel, deren aufgeschwemmtes Gesicht bräunliche Flecken verunstalteten und die ihn aus von Fettgeschwulsten eingefaßten Augenspalten zu mustern schien. Er fühlte sich von diesem Blick verfolgt und versteckte sich hinter dem Gastgeber. Ob er sich wirklich nicht mehr erinnere, fragte Cats mit schmalem Lächeln. Es handle sich um die verwitwete Mijfrouw Els van Boon.
Zurück in seiner Wohnung, lief Theodor mit brennendem Gesicht, eine Lampe in der Hand, zu dem großen Kaminspiegel, um sich zu vergewissern, daß die Jahre nicht auch ihn so entstellt hatten.
Weitere Briefe aus Korsika unterrichteten den König, daß die Versuche Genuas, seine Inhaftierung von den Zinnen der Zitadelle Bastias herab propagandistisch auszunutzen, nicht nur gescheitert waren, sondern seine Untertanen dazu gebracht hatten, die Stadt rings um die Festung in Schutt und Asche zu schießen. Theodor nutzte schmunzelnd die Dialektik der Publizität aus, die dem wegen Schulden Inhaftierten und schließlich Freigekommenen einen ganzen Haufen neuer, von seinem
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