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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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wurde, wie er sich selbst immer wieder sagte, älter und älter.
    Im Dezember 1740 fielen die Preußen in Schlesien ein. Zur selben Zeit führte England einen halbherzigen Seekrieg gegen Spanien um das abgeschlagene Ohr eines britischen Kapitäns, und zum ersten Mal in fünfzehn Jahren wackelte der Stuhl des Premierministers bedenklich. Im Frühjahr darauf wurde Maillebois nach Frankreich zurückbeordert, denn Fleury hatte ein Bündnis mit den bei Mollwitz siegreichen Preußen und den Spaniern geschlossen, um Habsburg in die Enge zu treiben, und das besaß Vorrang vor der Unterstützung Genuas. Um die Mitte des Jahres herum verließen die französischen Truppen Korsika, und mit ihrem Abzug übernahm die Republik wieder ihr altes Unrechtsregime. Im Januar entließ der englische König seinen kriegsunlustigen
Premierminister Walpole, und die »Patriotischen Whigs« kamen an die Macht und verbündeten sich mit Wien. Dies war die Konstellation, die Theodor ausnutzen mußte.
     
    Er verfaßte ein zwanzigseitiges Memorandum, eine Mischung aus Strategiepapier, Bündnisofferte und Erpressungsschreiben, und reiste nach Wien, wo er in den ersten Märztagen eintraf. Sein Angebot war ein befreites Korsika unter seiner Herrschaft als Marinestützpunkt im Mittelmeer, um den Handelsverkehr zu sichern, die Toskana und Sardinien vor dem Zugriff Spaniens zu bewahren und, käme es zum Äußersten, einen strategischen Sammelpunkt für Auseinandersetzungen mit Frankreich oder den Türken zu besitzen. Er ging, was nicht ganz den Worten und dem Geist der seinerzeit von ihm unterschriebenen Generalkapitulation entsprach, so weit anzudeuten, im Falle seines Ablebens ohne männliche Nachkommenschaft werde Korsika ans Reich fallen, nahm aber auch kein Blatt vor den Mund, wenn es darum ging, welche Konsequenzen eine Ablehnung und damit auch sein persönliches Scheitern hätte: Die Insel geriete mit fataler Gewißheit in die Hände der Bourbonen, die italienischen Länder der Krone wären über kurz oder lang verloren, der Mittelmeerhandel abhängig von den Launen Madrids.
    Theodor stand vor dem Kartentisch, deutete, erklärte, erläuterte mit kalter, aber von Charme ummantelter Logik, der er selbst lauschte wie der Rede eines vollkommen Fremden. Der Raum füllte sich mit Ministern und Generälen, die Luft roch schwer nach Perückenpuder, Pfeifentabak und Pferdemist, es herrschte eine Atmosphäre lethargischer Panik, und man nickte, murmelte und räusperte sich viel.
    Ein Einatmen und ein Ausatmen, ein Liderschließen und wieder -öffnen später saß Theodor neben John Carteret in
der mit goldenen Stuckornamenten verzierten Regierungsloge und blickte nach schräg links oben, wo sich König Georg II. soeben zum fanfarenbrausenden Halleluja erhob, gefolgt einen Sekundenbruchteil später vom Außenminister, der Theodor mit hochgezogenen Brauen bedeutete, es ihm gleichzutun, sowie dem gesamten Publikum von Covent Garden.
    Es kam zuviel zusammen in diesem Moment, einem Kulminationspunkt in Theodors Leben. Der Äquinoktialsturm der Gegenwart brandete gegen die Kaimauer seiner Erinnerungen, die abprallenden Wellen trafen sich mit den einlaufenden in einem donnernden Bersten, einem sekundenschnellen Aneinanderhochklettern und gemeinsamen, von Schaum- und Gischtexplosionen gekrönten Aufbäumen. Theodor stand und lauschte dem Jubelchor, und Tränen begannen über sein Gesicht zu laufen, was die Umstehenden beifällig als einen Tribut an die Musik seines deutschen Landsmannes deuteten.
    Er dachte daran, wie er vor fast zwanzig Jahren mit Jane draußen an der Mauer gelehnt und dem Echo von Händels italienischen Opern gelauscht hatte. Und jetzt, keine drei Wochen war es her, hatte sich das Reich in der Person des Erzherzogs Franz von Lothringen mit ihm verbündet, zwar nicht schriftlich, denn »das, lieber Baron, können wir uns nicht leisten«, aber eine ungeheure Geldsumme war bereitgestellt, mit der Wien dem König von Korsika eine englische Schlachtflotte finanzierte, um sein Land zu erobern. Ein geheimes, kodiertes Schreiben – Theodor lächelte erinnerungsschwer, als er die De Vigenère’schen kryptographischen Tabellen sah – an die englische Regierung hatte man beigefügt, und so war Theodor nach London gekommen, um aus dem Vollen zu schöpfen und sich mit der Macht zweier europäischer Höfe endlich zu nehmen, was ihm zustand.
    In einem mutwilligen Versuch auszuloten, bis wohin die
Götter ihn verwöhnen wollten, hatte er auf dem Weg in die

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