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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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beruhigt vor allem über die Formen, mit denen er empfangen worden war, reiste Theodor mit seiner kleinen Suite aus zwölf Männern weiter in Richtung Paris.
    Nach einer ratlos empfindungsarmen Viertelstunde am Grab seiner Schwester erreichte er in der letzten Januarwoche die französische Hauptstadt, richtete sich ein und ließ ein Schreiben mit der Bitte um eine Audienz bei Fleury nach Versailles bringen.
    Dort erwartete ihn eine Enttäuschung, um so ernüchternder, als seine nach dem Besuch in Turin ohnehin hochgespannten Erwartungen durch die ersten Pariser Tage noch übertroffen worden waren. Ein Billet nach dem anderen flatterte in seine Räume, Journalisten, Titeljäger und luxuriöse Kokotten gaben sich die Klinke in die Hand, Bankiers und Kaufleute schlugen sich darum, ihn zum Souper an ihrer Tafel zu haben. Er verbrachte die Abende in der Oper oder im Théatre Français und die Nächte in den Cafés, umringt von einer Traube schwatzender, trunkener Geister, die für die brillantesten von Paris galten.
    Es hätte ihm, wäre er in der Lage gewesen, kühl zu analysieren, in welchen Kreisen er Popularität genoß, auffallen können, daß er vor allem den jungen Philosophen, Pamphletisten, Autoren, kurz: der kritischen, intellektuellen Elite, als ein Freiheitsheld galt, dessen konstitutionelle Monarchie mit ihrem Selbstbestimmungsrecht und Gleichheitspathos sie als revolutionär bewunderten, wozu Theodor, für dessen Geschmack viel zuviel Konstitution geherrscht hatte auf Korsika, säuerlich lächelte. Der höhere Adel und die Höflinge jedoch hielten sich merklich zurück, aus dem Schloß kam keine Einladung.

    Aber darüber dachte er nicht nach, denn er verbrachte seine Zeit mit dem jungen Diderot, wurde nach einer Premiere im »Français« Marivaux vorgestellt und zechte mit Prévost d’Exiles, dem Verfasser der Geschichte vom Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut, die Theodor in Berthelsdorf seinerzeit heimlich gelesen hatte. Der mit langem schwarzem Umhang und mit Beffchen als Abbé kostümierte Schriftsteller war auch der Übersetzer von Richardsons Pamela und trat mit seiner holländischen Geliebten Lenki Eckard auf, die Theodor wie eine kosmopolitischere Version Angelinas vorkam, einer jungen Dame mit strohblondem Haar und großen Schneidezähnen, die bei ihrer Verbeugung ein Dekolleté offenbarte, dessen Spitzenbesatz ihre Brustwarzen umschloß wie Blütenblätter einen Stempel.
    Vor allem aber diskutierte er mit Montesquieu über Herrschaftstheorie und -praxis, umgeben von zehn oder fünfzehn konzentriert lauschenden Männern und einigen jungen Frauen, das heißt, er unterbrach Secondats Redefluß ab und an mit Zitaten Lockes und korsischen Anekdoten.
    Der Höhepunkt seines Pariser Aufenthalts war erreicht, als er am neunundzwanzigsten Januar zur Oper fuhr und zwei Pistolenschüsse auf seine Karosse abgefeuert wurden. Das heißt, zumindest als der Schreck überstanden war – die Kugeln durchschlugen die Holzverkleidung und bohrten sich in die blaue Polsterung der Theodor gegenüberliegenden Sitzbank -, entwickelte der Abend sich zu diesem Höhepunkt, denn seine beiden korsischen Leibwachen auf dem Kutschbock feuerten blind in die Dunkelheit zurück, die Pferde scheuten, auf der Straße brach Panik aus, und die Nachricht, daß ein Attentat auf den König von Korsika verübt worden sei, verbreitete sich Theodor voraus als Lauffeuer in Richtung der Oper, wo seinetwegen der Beginn der Vorstellung verschoben wurde, die Treppe sich vor seinen leicht zitternden Schritten zu einem Spalier öffnete
und der Saal sich, als er in seiner Loge Platz nahm, erhob und mit Aahs und Oohs applaudierte, bevor das Orchester mit der Ouvertüre begann.
    All dies bereitete ihn schlecht auf den folgenden Tag vor, an dem er im Schutz der in Anschlag gehaltenen Musketen seiner Leibwächter nach Versailles hinausfuhr und einem gelangweilten Sekretär sein Billet für den Kardinal in die Hand drückte.
    Im Laufe der nachfolgenden Stunden legte er einen Kreuzweg durch drei Vorzimmer zurück und wurde immer wieder aufgefordert, seine Identität zu bestätigen. König? Von Korsika? Aber diese Insel sei im Besitz der Republik Genua, sie sei kein Königreich... Er sei also der Baron, der Freiherr Neuhoff, von woher? Westfalen? Er wartete, von Minute zu Minute nervöser, spähte mit rotem Kopf umher, ob irgend jemand sich über ihn lustig machte und starrte in den Innenhof hinunter, auf die Längs – und Quergebäude und ihre

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