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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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örtlichen Dialekt, Komplimente und imaginären Hofklatsch austauschten und einander Artigkeiten sagten, historisch aktionsgeladene, in denen sie als Engländer von den bestialischen G’scherten vertrieben und nach entbehrungsreichen und erniedrigenden Jahren des Exils und der Irrfahrt wieder in ihre Rechte eingesetzt wurden, und schließlich körperbetont intime, sozusagen Kemenaten-Versionen des Spiels. Da erwiesen sie einander alle möglichen zärtlichen Dienste, halfen dem andern kniend in die
Schuhe, feilten seine Nägel, kämmten sein Haar, wobei sie abwechselnd und mit fließenden Übergängen in die Herren- und Dienerrolle schlüpften. Es war diese Nähe von Atem und Händen rund um seinen Körper, dieser Sanftheitskokon aus Düften und sekundenlangen Berührungen seiner Haut, bei denen alle seine Flaumhärchen sich wollüstig aufstellten, die Theodor an diesem Spiel am meisten genoß.
    Sie nahmen sich bei der Hand und schritten von den Apfelbäumen zur Linde, grüßten die nickenden Sonnenblumenköpfe, die ein Spalier bildeten, und das Rascheln und Knistern des Laubs in der den Abend ankündigenden Brise klang wie Gewisper und bewunderndes Getuschel des Hofstaats, während sie einander zum Tanz führten. Jetzt berührten sich ihre Fingerspitzen an den wie zu einer Prim-Einladung ausgestreckten Armen, und sie setzten graziös mit durchgedrücktem Spann die Fußspitzen auf die Erde und schritten zu den unhörbaren Klängen eines Menuetts vor und zurück. Jetzt umarmten sie einander, faßten sich um die Hüften und drehten sich wie die Bauern beim Dorfschwof immer schneller um die gemeinsame Achse. Amélie lachte laut bei den Pirouetten des königlichplebejischen Tanzes und verströmte einen Duft nach Heu und frischem Schweiß, die Fliehkräfte der Drehung rissen sie auseinander, und sie fielen ins Gras und hielten sich den Kopf.
     
    Im zwölften lothringischen Winter war Amalia endgültig und unwiderruflich zahlungsunfähig und alle obskuren Quellen, aus denen ihr sonst das Nötigste zufloß, vereist. Nach einigen Tagen bemerkten die Kinder, daß das Haus kalt und ihnen nur mehr kaltes Essen vorgesetzt wurde, dann nur noch Brotkrusten, dann gar nichts mehr. Die Lippen ihrer Mutter zogen sich noch tiefer ein, ihre zusammengepreßten Kiefer zitterten, und ihre hochgewachsene,
schlanke Gestalt spannte sich an wie der Schwibbogen einer gothischen Kathedrale, um den Druck des Elends über die Köpfe ihrer Kinder hin abzuleiten.
    Sie ernährte sie nur mehr mit dem zornigen Stolz ihrer Blicke. Lieber sterben, lieber Sohn und Tochter opfern als klein beigeben, betteln gehen, sich bücken, um in die stinkenden Bauernkaten zu treten und um Milch und Mehl zu flehen.
    Für Theodor und Amélie war es zunächst ein kleines asketisches Spiel, dann wurde es Entbehrung, schließlich Qual; Erbrechen, Durchfall und abwesende Zustände, in denen sie Amalias beschwörend ablenkende Worte und Bibellesungen wie in Trance wahrnahmen, bis sie so leer dahindämmerten, das Sterbesakrament ihrer Auserwähltheit empfangen zu können.
    Da tauchte der Graf von Mortagne auf, der eine seiner Inspektionsreisen durch seine Länder dazu nutzte, einen Blick auf die Frau zu werfen, von welcher seine Gattin ihm berichtet hatte. Sogleich schrieb er ihr zurück: »In zwei Punkten, ma chère , kann ich Ihre Informationen bereits jetzt bestätigen: Sie ist eine flammend fromme Katholikin, und sie ist eine Schönheit.«
    Worauf seine Frau antwortete: » Mon pauvre ami, je vous souhaite bonne chance .«
    Aber Mortagne begnügte sich nicht mit stiller Bewunderung während der Messe. Er stellte sich Amalia vor, wechselte einige Worte mit ihr und hielt am folgenden Tag Einzug in dem Dorf, in dem sie lebte, was einen Massenauflauf provozierte.
    Seine vierspännige Karrosse mit dem Löwenwappen, sein Dreispitz mit der roten Hahnenfeder, der sich aus der Kutsche neigte, bevor sich die glänzenden Stulpenstiefel auf das Trittbrett senkten und mit dem nächsten Schritt im Morast einsanken, das Ordensband, die schwarze Kräusellockenperücke, der gezwirbelte Schnurrbart, spitz und
dünn wie waagrecht abstehende Pfeifenreiniger, die Wolke von Rosenwasser, die aus dem Frack und dem Spitzentuch stieg, das er sich beim Aussteigen vor die Nase hielt und dann achtlos in den Dreck fallen ließ, woraufhin sich sofort ein balgendes Knäuel von Dorfkindern im Schlamm rollte, bis eine siegreiche kleine, schmutzige Hand es aus dem Getümmel hochhielt wie eine gerettete

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