Der König Von Korsika
arbeiten, sagte er sich, da geht es ungleich vernünftiger und moderner zu.
Sie hatten einen Agenten in Amiens sitzen und einen weiteren in Boulogne, Theodor erkannte ihn sofort, als er dort eintraf, und hätte er selbst ein bekanntes oder verdächtiges Gesicht gehabt, er wäre ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen. Doch war er mit ganzer Seele der junge plauderhafte Erbe, der sein Geld anlegen wollte, so sehr, daß er sogar den kompromittierenden Brief in seiner Tasche vergaß – vermutlich die bestmögliche Tarnung.
Die Engländer, soviel wußte er, wünschten Görtz’ Auslieferung, weil Schweden die kürzlich gescheiterte Stuart’sche Landung begünstigt und mitfinanziert hatte, hinter der noch König Ludwig selbst steckte. Obwohl Theodors Neugierde erfahren wollte, in welchem Spiel er einer der Bauern war, kam es ihm doch sowohl klüger als auch sicherer vor, sein gutes Geld vorerst mit nichts anderem zu verdienen als seinem Auftrag: einer diskreten Botenrolle.
In Boulogne, mit Blick auf den Mastenwald, das Ächzen von Holz auf Holz im Ohr, die Nase erfüllt vom durchdringenden Geruch nach Tang und Teer, schrieb er, ein Dominospiel mit Larbi unterbrechend, an dem Brief für seine Schwester weiter: Alles, was ich mir wünsche, ist vierzig zu sein und genügend Geld angesammelt zu haben, um mich irgendwo auf dem Land zur Ruhe setzen zu können. Ein
erster Anfang ist gemacht, und wenn ich weiterhin soviel Glück habe und mir nichts zustößt, kann ich das Abenteurerdasein bald hinter mir lassen. Ich beneide dich um dein so wohlgeordnetes Leben und hoffe nichts inniger, als meinen kleinen Neffen Friedrich endlich einmal in die Arme schließen zu können...
Er knüllte das Papier zusammen und warf es auf den Haufen, um neu zu beginnen: Geliebte Amélie! Der erste Schritt zum Ruhm ist getan! Nur dies: Ich bin im Begriff, mit den wichtigsten Politikern Europas von gleich zu gleich um die Zukunft des Landes zu verhandeln. Der Glanz der internationalen Bühne blendet ungeheuer, aber du weißt, ich sehe auch da klar, wo andere im Dunkeln tappen. Das einzige, was ich noch erreichen muß, ist selbst gehört zu werden. Sobald du ein wenig Einblick ins Räderwerk der Diplomatie gewinnst, wird dir bewußt, von welchen Zufällen und Eitelkeiten wir regiert werden, wo es doch genügen würde, einem klaren, unbestechlichen Blick ebensolche Taten folgen zu lassen... Ich habe vor, in Amsterdam, wo ich erwartet werde, ein großes Schaukelpferd für den kleinen Friedrich zu erwerben, einen Schimmel mit echter Mähne und rotledernem Zaumzeug...
... Meine einzige Schwester! Das verregnete flache Grün hier, die Viehweiden und Brüche und die Salzschwaden in der Luft, das graue, endlose, sich in sich selbst bewegende Meer sind mir so fremd, und ich denke mit Wehmut an unsere Kinderheimat zurück, den umfriedeten Garten, die Gerüche, die Baumblüte, die Wolkenschatten auf den Hügeln, den sicheren dunklen Hort des Hauses, die Gesänge in der Kirche, unsere Spiele. Es will mir nicht in den Kopf, daß das alles vorüber sein soll und man immer nur nach vorn lebt, weg von allem Liebgewonnenen, fort von aller Sicherheit. Geht es dir nicht auch so, daß die Dinge erst geschehen sein müssen, um sie sehen, riechen, besitzen zu können? Empfindest nicht auch du, daß das wahre Leben,
das wir überschauen und in seiner ganzen Würze erleben können, tragischerweise das ist, welches unwiderbringlich hinter uns liegt, und daß der Versuch, uns auf die ungewisse Zukunft einzustellen – eine Situation, als müsse man den Fechtangriff eines Unsichtbaren parieren -, uns alle Muße raubt, zu sehen und zu erleben, was heute passiert? Glücksmomente kenne ich nur in der Erinnerung oder der Hoffnung auf später. Hast du es gelernt, den Augenblick und die Freude, die Freude und das Bewußtsein von ihr in eins zu setzen? Aber was frage ich: Du bist Mutter...
Alles gelang so mühelos, daß es Theodor selbst verdächtig vorkam. Er war zwar niemand, der von der Mühsal eines Tuns auf ihren Wert schließt und schließlich das Quälende selbst schon als Qualität empfindet, aber der hohe Lohn, den er empfangen hatte, wollte dennoch von einigen Schwierigkeiten gerechtfertigt werden, damit nicht der Eindruck entstand, eine Tätigkeit ausgeführt zu haben, die unter der eigenen Würde lag, die auch ein Geringerer hätte besorgen können.
Aber jeder Tag und jeder Schritt verlief ungestört und unbeschwert. Er mietete ein Schiff an, stand bei seiner
Weitere Kostenlose Bücher