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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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gottgefällig, so elend zu sein, erklärte er.
    Warum schafft man sie dann nicht von der Straße? fragte Theodor.
    Oh, wir sind hier toleranter als die Franzosen, meinte der Kaufmann. Sie haben auch ein Recht zu leben.
    Während die Tage im gediegenen Amsterdam vergingen und Theodor in Görtz’ Auftrag seine Verhandlungen führte, gärte es in ihm immer heftiger, seine Geschichte publik zu machen, sein Spiel aufzudecken, um im bewundernden Abglanz in den Augen der anderen etwas davon zu haben, daß er kein kleiner Leutnant in französischen Diensten geworden war.
    Seine zwei Schrankkoffer voll modischer Kleider und Accessoires waren beständig geöffnet, und er verbrachte ganze Vormittage damit auszuwählen, um eine so elegante
wie auffällige Verpackung für sein Selbstbewußtsein zu finden. In dieser opulenten Takelage, dieser odaliskenhaft sinnlichen Zurschaustellung von gekämmter Wolle und Damast, Seide, Batist, Brüssler Spitze und feinstem Leder ging er dann auf die Straße und erbitterte sich über das holländische Phlegma allem und jedem und ganz besonders ihm gegenüber. Ohne seine Mission zu gefährden, konnte er nicht mit den guten Gründen für seine Aufmachung herausplatzen. Je länger ihm der Mund verschlossen war, desto mehr provozierte ihn das calvinistisch gemäßigte Schwarz-Weiß, und er wünschte sich, zu erleben, daß auch die Menschen hier sich einmal gehen ließen.
    Der Wahrheit die Ehre zu geben, meinte er mit »Menschen« eigentlich hauptsächlich seine Wirtin, Mijfrouw Els van Boon, die kühle und sehr viel jüngere zweite Gattin des bereits einmal verwitweten Ständerats. Ihre stattlichen Formen ähnelten ein wenig denen der Valentini, aber ihr Gesicht war gröber gezeichnet, sozusagen eher mit dem Kohlestift als mit dem Rötel.
    Er war sich fast sicher, daß ihm die immer in Schwarz gekleidete Els, die sich, wenn er plauderte, mit dem Gebetbuch gähnend in eine Ecke zurückzog, um es in den Worten eines Versailler Höflings und Jesuiten auszudrücken: »die Instrumente zeigte«.
    Ob es sich tatsächlich so verhielt oder nur Theodor so vorkam, sei dahingestellt, aber er hätte schwören können, daß die Dame des Hauses in seiner Gegenwart zwei-, dreimal verborgene Stellen ihrer Haut sehen ließ, was man kaum anders denn als eindeutige Einladungen an seine Beherztheit auffassen konnte: ein sekundenlanges weißes Schimmern der bloßen Fessel zwischen Rocksaum und Schuh, der muttermalsdunkle Ansatz eines Brustwarzenhofes im blitzartig verrutschten Dekolleté. Und einmal kneteten ihre langen Finger in seiner Gegenwart voller Insistenz den Lehnenknauf ihres Sessels...

    In den Gesprächen, die er in einem Kabinett van Boons mit russischen Ratsherren führte, schweiften seine Gedanken immer wieder ab, um sich mit der Frage zu beschäftigen, welche Lösung für seine Not es geben mochte. In den politischen Dingen sah er mittlerweile klar: Der wirkliche Grund für Görtz’ Anwesenheit in Holland war, mit dem derzeit in Amsterdam weilenden russischen Zaren über Konditionen eines möglichen Friedens zu verhandeln. Der schwedische Minister, der noch immer komfortabel in Den Haag festsaß, hatte ein Schreiben für den Zaren aufgesetzt, das Theodor persönlich übergeben sollte, wozu er jedoch zunächst eine Bresche in die Reihen der russischen Beamten schlagen mußte, mithilfe von Charme und Genever.
    Als er dem zukünftigen Kaiser schließlich gegenüberstand, einem kleinen Mann in Schwarz, kleiner als Els Boon, schoß es ihm durch den Kopf, mit langem dünnem Haar, hängendem Schnurrbart und einem Mittelscheitel, auf dessen weißer Trennlinie Schuppen flockten, schrumpfte im Vergleich mit der Aura dieses Mannes die imposante Figur des schwedischen Ministers ins Zwergenhafte.
    Pjotr Alexejewitsch stand in der schrägen, staubdurchwölkten Lichtbrücke, die durchs Fenster einfiel, die Hände im Rücken verschränkt, auf den Ballen wippend, konzentriert, flankiert von zwei Schreibern oder Sekretären, die auf Holzplatten gespanntes Papier vor der Brust hielten.
    Er lauschte Theodors Worten, der vergeblich versuchte, durch die straffe Schutzhülle des Mannes zu dringen und eine gemeinsame Basis der Konversation zu schaffen. Einmal sprach Theodor zufällig etwas an, das den Zaren interessierte, es war, als werde ein Licht in dessen Augen entzündet, und er begann zu reden und holte Theodor kurz aus, ließ aber nach wenigen Minuten enttäuscht ab, wie es schien. Er hatte über Fakten sprechen wollen,

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