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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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ersten kurzen Seereise über die kabbelige graue Kanalsee, immer in Sichtweite der Küste, am Bug, ließ die Gischtspritzer wie ermunternde Ohrfeigen in sein Gesicht und gegen sein Lederzeug klatschen und hatte dabei das Gefühl, sich zu verjüngen, zu reinigen – der Kontakt mit den Elementen, sofern er nicht titanisch und gefährlich ist, hat für einen Menschen, der hauptsächlich in geschlossenen Räumen lebt, ja fast immer einen derartigen Effekt. Er kam in dem bescheidenen Hafen an, bestieg die Kutsche nach Den Haag, fand Unterkunft in einer sauberen Herberge – jeder Schritt und jeder Tag glückte wie von Zauberhand, kein Hindernis und keine Gefahr waren sichtbar, und in seine Euphorie mischte sich mehr und mehr Angst.

    Er kannte die alten Mythen gut genug, um zu wissen, daß die Schicksalserwählten, die Glückskinder und Unsterblichen ihre Flügel mit kurzem Leben und blutigem Tod bezahlen und daß die Götter nur den leben lassen, der sie langweilt.
    Vielleicht sollte er einer Krankheit zum Opfer fallen, das ungesunde Klima mit all den brackigen Gewässern machte eine Ansteckung wahrscheinlich. Daher befahl Theodor Larbi noch im Hafen, bei einem fahrenden Apotheker eine Art ellenlanger Klistierspritze zu erstehen, aus der ein Mittel gegen Krankheiten aller Art bei geschlossenen Fenstern im Zimmer versprüht werden mußte.
    Nach der ersten Behandlung stank Theodors Gemach derart, daß beiden die Augen tränten und Larbi zugleich die Fenster aufreißen und ein Feuer im Kamin gegen die eindringende Kälte anfachen mußte.
    Herr, glauben Sie wirklich an diesen Unfug, für den Sie einen Gulden bezahlt haben?
    Keineswegs, mein lieber Larbi, nicht mehr als du. Aber es beruhigt mich, dieses widerwärtige Zeug zu versprühen, es beruhigt meine Nerven. Es ist eine Aktivität, und irgend etwas muß ich tun, um nicht nichts zu tun.
    Aber womöglich ist es dieses Zeug, das uns erst krank machen wird!
    Nicht von der Hand zu weisen! Aber dann wissen wir wenigstens, woran wir leiden, und eine Krankheit, deren Ursachen man kennt, ist beruhigender als eine Gesundheit, die jeden Augenblick, ohne daß man sich’s versieht, in Krankheit umschlagen kann.
    Maître , manchmal verblüfft Eure Logik mich.
    Mein lieber Larbi, ich würde selbst nicht viel für sie zahlen, aber im Moment haben wir eine derartige Glückssträhne, daß ich sicher bin, die Götter unter dem Kinn kraulen zu können, und sie werden um meinetwillen ein Auge zudrücken.

    Kaum hatte er erfahren, daß Görtz recht komfortabel in einem der Gebäude des Binnenhofs in Hausarrest saß, ließ er sich als einen entfernten Verwandten ankündigen und plauderte mit einem Wachhauptmann so sorglos und naiv über das Soldatenleben, wobei er ein preußisches Dragonerregiment den Platz des Régiment d’Alsace einnehmen ließ, daß er sofort die Erlaubnis erhielt, seinen »Vetter« zu besuchen.
    Görtz war ein massiger Mann Ende Dreißig. Er saß in einem mehr hohen als weiten Zimmer an einem Schreibtisch und blickte kurz auf, als Theodor hereingeführt wurde. Sein roter, großporiger Hals wuchs aus einem weißen Spitzenkragen über einer mattschimmernden schwarzen Weste. Das Haar war rotblond, der Bart ebenso, der Blick umfaßte die Szenerie sogleich und schien sich doch auf das Wesentliche zu konzentrieren, in diesem Fall den fremden, ihm als Cousin aus Westfalen gemeldeten Gast. Unter seinen Nasenlöchern lagen dunkle Schatten vom Schnupftabak.
    Ah, da ist ja der Vetter... (Blick auf den Wachmann) Wir müssen uns nicht mehr gesehen haben, seit Sie ein Knabe waren! Lassen Sie sich umarmen...
    Theodor war beeindruckt. Er trat in den Dunstkreis des Mannes ein und atmete den Duft von Macht und Willen ein, der nach Schnupftabak, Schweiß und am Vorabend genossenem Kohl roch. Wie zur Bestätigung ließ der Minister einen krachenden Wind fahren, und Theodor, an die Versailler Sitten gewohnt, wäre beinahe vor Scham in Ohnmacht gesunken. Statt dessen lächelte er mit schmalen Lippen.
    Sobald die Wache verschwunden war, erklärte er sich in wohlgesetzten Worten, zog den Brief aus der Innentasche, reichte seinem Gegenüber das De Vigenère’sche Schema und nannte sein Schlüsselwort. Danach sah er stehend zu, wie Görtz mit seinen dicken Fingern den Umschlag aufriß, oder besser: in Stücke riß.

    Er hatte eigentlich erwartet, über den Inhalt aufgeklärt zu werden, aber nichts dergleichen geschah. Lächeln, Nikken, Schnupfen, Wegräumen, Aufatmen, Niesen, dann neuerliche

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