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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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eingeengt sein.
    Alexander war noch nicht weit gegangen, als er über ein Geräusch erschrak. Unvermittelt stand Yokola vor ihm. Der Saman trat näher und schaute ihn lange an. Alexander fühlte sich unbehaglich und hatte das Gefühl, als könnte der Alte in ihm lesen.
    »Menschen wie du beherbergen einen bösen Geist«, sagte der Ewenke in akzentfreiem Russisch.
    »Ich dachte, du könntest kein ...«
    Yokola unterbrach ihn, indem er nur kurz die Augen schloss. »Ich weiß nicht, wie böse dein Geist ist, aber du läufst Gefahr, dass du dich ihm unterordnest.«
    »In mir in kein böser Geist«, protestierte Alexander und wusste sofort, er log.
    »Doch, ein Geist aus Hass und Gleichgültigkeit.«
    Alexander schwieg.
    »Ein Saman kann es nicht zulassen, dass er das, was er gerettet hat, durch einen bösen Geist verliert.«
    »Ist es unter deiner Würde?«
    Yokola schüttelte den Kopf. »Nein, es ist meine Verpflichtung.«
    Einige Sekunden konnte Alexander dem Blick des Schamanen standhalten, dann sah er zu Boden.
    »Dein Leben gehört mir. Immer, wenn man ein Leben rettet, vereint man seines mit ihm. Wenn du es wegwirfst, dann werde auch ich sterben.«
    Bevor Alexander antworten konnte, klopfte ihm Yokola leicht gegen die Brust. »Die Haare des alten Mannes, auf seine Art war er auch ein Saman, haben dir bisher geholfen.«
    Alexander stand die Überraschung im Gesicht geschrieben, denn er konnte sich nicht erinnern, von Rassul erzählt zu haben.
    »Nimm auch meine dazu.«
    Mit einem Messer schnitt Yokola sich ein Haarbüschel ab und reichte es Alexander. Der verstaute es in dem kleinen Lederbeutel zusammen mit Rassuls Haaren. Beide konnte er gut auseinanderhalten, denn die des Fährtenlesers waren pechschwarz.
    »Woher weißt du von diesen Haaren? Habe ich im Fieber davon gesprochen?«
    Yokola schüttelte den Kopf. »Ich bin ein Saman.«
    Zwei Minuten, die Alexander wie eine kleine Ewigkeit erschienen, standen sich die neiden Männer gegenüber. Da Yokola ihn nun an beiden Oberarmen umklammert hielt, sein Griff fester und fester wurde, kam es Alexander vor, als fließe etwas von dem zähen, energiegeladenen Körper des Alten in den seinen. Wortlos wandte Yokola sich ab und marschierte davon, ohne noch einmal zurückzuschauen.

    Alexander zog durch das Land, als sei es sein Bestreben, alle Winkel des riesigen Kontinents kennenzulernen. Er traf auf andere Ewenken, die weit verstreut im nördlichen Sibirien umherwanderten. Manche waren sehr freundlich, andere wiederum begegneten ihm misstrauisch. Einmal sogar verfluchte ihn ein Saman und ließ ihn, nachdem ihm die Bewohner als knappste Form der Gastfreundschaft etwas zu essen angeboten hatten, aus dem Dorf treiben, weil in ihm ein böser Geist wohne.
    Das war seine letzte Begegnung mit den Ewenken, danach machte er sich auf den Weg nach Südosten. Er kam in Dörfer, die ohne Kanalisation, Strom und Wasser waren. Aufgedunsene Tierkadaver, eingehüllt und belagert von einer Wolke aus Fliegengeschwirr, lagen zwischen den primitiven Behausungen, Berge aus Knochen, verrosteten Blechdosen, leeren Flaschen und Unmengen von sonstigem Abfall. Im Sommer stank es bestialisch, erst der Winterfrost machte das Atmen erträglicher.
    Gewöhnlich arbeiteten die Bewohner der Gegend auf einer Blaufuchsfarm, die einzige Erwerbsmöglichkeit weit und breit, und das Einkommen war mehr als dürftig. Das hielt jedoch viele Männer nicht davon ab, schon früh am Morgen torkelnd durch die Gegend zu ziehen. Wodka war auch hier die einzige Abwechslung und ein Allheilmittel, wenn es ums Vergessen ging.
    Das Rentier verkaufte Alexander zwei Monate später für 180 Rubel, weil er einen Fahrer fand, der ihn mit seinem Lkw mehr als 500 Kilometer auf einer aufgeweichten Allwetterstraße mitnehmen wollte.

    Alexanders innere Unruhe ließ ihn zu einem Mann werden, der plötzlich da war, arbeitete, redete, jedoch nie über sich selbst, und ohne Abschied wieder verschwand. Im Sommer verbrachte er einige Wochen in einem Holzfällercamp. Keiner fragte, woher er kam, keiner wollte wissen, wohin er wollte. Was zählte, war seine Arbeit, und Papiere brauchte er auch nicht vorzuzeigen.
    Alexander erfüllte die Norm und noch mehr. Mit einer Verbissenheit, als hinge sein Seelenheil davon ab, trieb er die Axt in den Stamm oder setzte die Motorsäge an. Konnte einer seiner Kollegen seinem Tempo nicht folgen, Alexander feuerte ihn an.
    Genauso intensiv, wie er arbeite, lebte er auch. Kein Fest ließ er aus, keiner

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