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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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Seine Eltern hatten schon die Beerdigung vorbereitet, als er auf wundersame Weise wieder gesund wurde. Seitdem ist Yokola ein Auserwählter

    Schon den ganzen Tag über spürte Alexander die Unruhe und registrierte die Vorbereitungen. In der Mitte zwischen den Zelten schichtete man einen Holzstoß auf, gleich daneben wurden zwei Pflöcke in den gefrorenen Boden gerammt. Bereits am Nachmittag schmückten sich die Ewenken und zogen ihre besten Kleider an. Die Männer trugen Hüte mit vielen Zipfeln, die Frauen eher mützenähnliche, allerdings ohne Schirm und nach hinten abgedacht und dazu Lederkleidung, die ihnen bis zu den Waden reichte. Darunter hatten sie Hosen an, ebenfalls aus Leder, und Fellstiefel, die sie mit einer speziellen Paste aus Tran und Fett behandelten, damit sie geschmeidig und wasserdicht blieben.
    Nach und nach versammelte sich das ganze Dorf. Zuerst die Männer, die besten Jäger in der ersten Reihe, dann die Frauen und zum Schluss die Kinder. Heute, so erfuhr Alexander, werde Winter verabschiedet. Es konnte nur der 2 1. März gemeint sein, die Tagundnachtgleiche.
    Der Holzstoß wurde angezündet, die Flammen schlugen höher und höher, zwei junge Rene, die man an die Pflöcke gebunden hatte, zerrten angstvoll an den Stricken.
    Einige Männer beginnen auf eine zwischen die Knie geklemmte Trommel zu schlagen, andere ratschten mit Holzstäben über in Horn gesägte Zacken und stimmten einen monotonen Gesang an. Der Rhythmus wurde schneller, zwischendurch stand einer der Jäger auf, tanzte stampfend um das Feuer, wackelte mit dem Kopf und stieß wilde Worte aus »Er bittet um Vergebung«, flüsterte Urnak Alexander ins Ohr. Weitere Ewenken gesellten sich zu dem Tänzer, das Stampfen wurde lauter, die Zuschauer ließen derweil die Flasche kreisen, Kinder durften schnuppern.
    Als riefe jemand vom Himmel, reckten die Tänzer ihre Gesichter in die Höhe, hoben die Arme zu einem Gebet und drehten sich dabei wie Mühlen. Schneller und schneller, schweißnass glänzte ihre Stirn. Yokola, in einen bunten Umhang gehüllt, trat zu ihnen. Die Tänzer sackten zusammen und kauerten sich auf den Boden, als hätten sie alle Kraft verloren .
    Yokola schaute in die Runde, schloss die Augen, sein ganzer Körper geriet wellenartig in Bewegung. Zuerst warf er den Umhang ab, dann auch die Kleider darunter, um die Geister zu beruhigen, wie Urnak Alexander verriet. Yokola, ein wirbelnder, kreisender und hüpfender Derwisch, zückte ein Messer, zog ein verängstigtes Ren näher, schnitt ihm die Kehle durch und hielt das zuckende Tier an den Hörnern fest. Tarike fing das pulsierende Blut mit einer Schüssel auf, alle Anwesenden tranken davon.
    Yokolas Augen sollten, sein Mund stand äffen, der Kopf pendelte seitwärts, nach vom und nach hinten. Zuerst nur ein dunkles Brummen, entwickelte sich sein Singen zu einem zusammenhanglosen Geschrei. Das zweite Ren wurde geopfert.
    Abgestoßen und fasziniert zugleich verfolgte Alexander das fremde Schauspiel. Yokola ritzte sich die Haut auf, Blut lief in feinen Linien an seinem Körper herunter, er schien keinen Schmerz zu verspüren. Anschließend rammte er sich das Messer in den Oberschenkel, ohne mit dem Tanzen aufzuhören. Alexander wurde allein schon vom Zuschauen schwindelig. Und als Yokola sich mit nacktem Oberkörper in das Feuer warf und darin wälzte, wollte er aufspringen. Aber Urnak hielt ihn zurück.
    Nach einigen Sekunden tauchte Yokola wieder aus den Flammen auf, beide Hände voll glühender Kohle. Beschwörende Worte murmelnd, ging er reihum, und jeder der Männer nahm sich ein Stück.
    »Damit will uns Yokola sagen, dass alle Kraft aus dem Licht kommt und alles Leben. Vor dem Licht brauchen wir keine Angst zu haben. Nicht die Gefahr ist gefährlich, sondern der Glaube daran.«

    Der Frühling setzte ein, die Sonne leckte den Schnee auf. lausende von kleinen Seen bildeten sich, weil das geschmolzene Wasser nicht ablaufen konnte. Und in diesen Tümpeln erwachten wie auf Kommando ganze Heere von Mücken, als hätten die Sonnenstrahlen ihnen das Leben eingehaucht. Mittendrin brüteten Schneehühner, Kraniche riefen, Lachse wanderten die eisfreien Flüsse hinauf.
    Tarike wollte wissen, woher denn die Narbe an Alexanders rechter Hand stamme. Alexander redete sich heraus, indem er behauptete, es sei ein Arbeitsunfall gewesen. Aber innerlich spürte er eine Erregung aufsteigen, die ihn zittern und seine Stimme hart klingen ließ. Er war froh, diesen schrecklichen Vorfall

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