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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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Rangelei ging er aus dem Weg, meist wurde sein Kopf erst wieder am kommenden Morgen in der frischen Luft klar. Frauenbekanntschaften waren selten, da ein chronischer Mangel an diesen begehrten Geschöpfen herrschte. Kam es doch mal dazu, dann endeten die Beziehungen sehr schnell, meist schon nach der ersten Nacht, weil er sich nicht bemühte und von ihm, wie ihm sogar die Käuflichen vorwarfen, eine beängstigende Kälte ausging. Das Leben, Alexander wusste nicht, wie lange es noch dauern würde, nahm er einfach hin, ohne zu überlegen, denn oft genug hatte er den Tod vor Augen gehabt, oft genug waren ihm gute Freunde und Kameraden weggenommen worden. Grundlos und ohne Vorwarnung, als sei ein bestimmter Termin verstrichen oder eine Schuld zu tilgen gewesen. Und weil der Tod nicht fragte, oh man bereit war, gab sich Alexander, trotz der immer noch nachwirkenden letzten Begegnung mit Yokola, als könne er jeden Augenblick eintreten. Er lebte von Tag zu Tag, unbedarft und aus Sicht der anderen ohne übermäßige Rücksicht. Was nützt es, beim Fällen von Bäumen besondere Vorkehrungen zu treffen, sagte er sich, und du wirst von einem Bulldozer überfahren oder durch eine Sprengung in Fetzen gerissen.
    Seine Holzfällerkollegen, alles harte Männer und viel gewohnt, beobachteten ihn manchmal heimlich, weil er ihnen fremd vorkam. Solch einem Burschen, der sich so gleichgültig gab und auf der anderen Seite wiederum so bedingungslos kämpfte, waren sie noch nicht begegnet. Galt es, im morastigen Untergrund den letzten, entscheidenden Keil in den Stamm zu treiben, Alexander tat es, auch wenn die Gefahr bestand, vom abreißenden Baum erschlagen zu werden. Musste einer als erster über den gerade noch zugefrorenen Fluss, Alexander wurde gerufen. Und wenn eine Dynamitladung nicht hochging, schaute er als einziger nach der Lunte oder dem Zündkabel. Auf solche Art einzuspringen und gefordert zu werden, machte ihm nichts aus. Im Gegenteil, er sah sich bestätigt, und er lachte über die Memmen, die Angst hatten. Doch bei jedem Risiko, das er einging, errechnete er für sich die potentiellen Chancen, wobei die Vorsehung eine bestimmte Größe ausmachte. Die Vorsehung und Yokola, so redete Alexander sich ein, garantierten ihm noch ein langes Leben.

Diese seltsame Einschätzung akzeptierte er, und sie schien ihm stichhaltig, denn sonst müsste er ja schon längst ...
    Nie überschritt er deshalb, gestützt auf seine einseitige Betrachtungsweise, ein gewisses, jedoch weit in den Grenzbereich verschobenes Limit. Und das Limit hieß Yokola. Denn mit so viel Glück wie vor einigen Monaten, als ihn der Fährtensucher mitten in der Schneewildnis gefunden hatte, konnte er seine Zukunft nicht noch einmal belasten.
    Bis Herbstbeginn arbeitete er in dem Holzfällercamp, wenig später weiter südlich nahe der Stadt Satagai in einem Erzbergwerk, das verschrien war wegen seiner hohen Normen und der schlechten Bedingungen. Aber es schien genau der richtige Ort zu sein, um unterzutauchen.
    Auch hier brauchte Alexander keine Papiere vorzuzeigen, dafür jedoch lernte er den real existierenden Kommunismus und dessen besondere Form der Menschenverachtung kennen. Untertage gab es kein Material, um die Stollen abzustützen. Das brauche man nicht, meinte ein leitender Ingenieur, denn der Permafrostboden sei so hart, da passiere schon nichts. Jeder Stollen sei stabil und tragfähig wie ein Tunnel im gewachsenen Fels. Gleichzeitig jedoch erfuhr Alexander, dass alle Jahre bei der Bedarfsanmeldung auch das Abstützmaterial angegeben und geliefert wurde, ins Bergwerk gelangte es jedoch nie. Die Leitung verscherbelte es vorher gegen wesentlich wichtigere Dinge: Der Direktor brauchte ein Häuschen zur Jagd, der Stellvertreter ein Auto und der leitende Ingenieur ein neues Badezimmer. Der Permafrostboden würde schon halten.
    Alexander meldete Bedenken an, immerhin habe er einige Semester Bergbau studiert. Auf der Universität sei ihm eingebläut worden, dass man sich in Zentralsibirien nicht auf eine gleichbleibende Dicke des Permafrostbodens verlassen dürfe, es gebe unterschiedliche thermische Sprünge, die dazu führten, dass an einer Stelle das Erdreich zwei - oder dreihundert Meter tief gefroren war, an einer anderen jedoch bis zu tausend Meter.
    Der Ingenieur hörte nicht auf Alexander, der daraufhin eine schriftliche Eingabe beim zuständigen Beauftragten für Sicherheitsfragen machte. Das kam dem Ingenieur zu Ohren, aber noch bevor er Alexander wegen

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