Der König von Sibirien (German Edition)
Tiere haben unter euch zu leiden.«
»Sie werden getötet, damit wir leben können. Das ist der Lauf der Natur. Größere Tiere töten kleinere.«
So einfach war das für Yokola, und aus Alexanders Sicht absolut richtig, denn genauso handelten die Menschen. Große Menschen mit Macht töteten auch kleinere. Und was hatte er all die Zeit getan? Unter anderem auch Tiere getötet, um überleben zu können und noch einiges mehr ...
»Wenn ich einen Menschen töten muss, um überleben zu können - wie ist es dann?«
»Nur schlimme Menschen kommen in die Verlegenheit, andere zu töten, um zu überleben. Gott wird es nicht dulden, aber er wird, wenn es keinen Ausweg gegeben hat, die Schuld abwägen.«
Als hätte Yokola es herbeigeschworen, war am Himmel ein Nordlicht zu sehen. Gelbrot und mit einem Schweif, wie zur Erde fallendes Feuer. Yokola deutete nur zum Nordlicht, für ihn der Beweis seiner Worte, stand auf und verschwand.
»Habe ich ihn verärgert?«
Urnak schüttelte den Kopf. »Nein, aber du hast es gewagt, ihm zu widersprechen. Das ist er hier bei uns nicht gewohnt. Yokola geht nichts über seinen Glauben. Er verbringt viele Stunden in der Natur, sitzt oft nur da und starrt in den Himmel.«
Am nächsten Tag erklärte ihm Urnak während eines Spaziergangs, Alexander humpelte noch leicht wegen der beiden amputierten
Zehen, welche Funktion Yokola als Saman habe. Er sei so eine Art Wahrsager, Träumer, Schamane oder Medizinmann. Abgesehen davon, dass er der beste Spurenleser sei, aus der Wolkenformation das Wetter voraussagen und sich auch ohne Hilfe monatelang in der Natur orientieren könne und immer wieder zurückfinde, besitze er die Fähigkeit, sich durch bestimmte Kräuter, die er zu Brei vermische und esse, in den Zustand der Trance zu versetzen. Das könne nur er, keiner sonst sei dazu in der Lage.
»Unsere Regierung tut das alles als Humbug ab und hat nach der Revolution die Samanen verfolgt, ihre Trachten verbrannt und den Kult verboten. Inzwischen duldet sie die Wanderer zwischen den Welten, wie wir sie nennen. Wenn war weiter im Süden sind, dann schickt mancher Arzt sogar Patienten zu Yokola, die nur er heilen kann.«
»Wie macht er das?«
Urnak zuckte de Achseln. »Das weiß Yokola allein. Hat er einen Schwerkranken vor sich, dann zieht er eins spezielle Kleidung an, nimmt ein Fell, spannt es und schlägt auf ihm wie auf einer Trommel. Dazu isst er Kräuter. Wenige Minuten später taucht er in eine Welt ein, die außer ihm keiner betreten kann.«
»Und ihr glaub an diesen ... Kult?«
Urnak blieb stehen. »Was heißt glauben? Ich bin in den großen Städten gewesen und habe sogar beim Militär gedient. Wie oft habe ich studierte Menschen ratlos gesehen, auch Mediziner, wenn beispielsweise einer meiner Kollegen an einfachem Fieber gestorben ist. Bei Yokola ist noch niemand durch Fieber ums Leben gekommen.«
»Das ist doch käme Erklärung.«
Urnak sah Alexander nur an. »Brauchst du immer eine Erklärung?«
Alexander überlegte. »Ja, sie hilft mir und meiner Logik.«
»Unser ganzes Dorf war der Meinung, das Ren sei in eine ganz bestimmte Richtung geflohen. Auch ich, denn im Schnee sahen war eindeutige Spuren, and das war logisch. Aber Yokola marschierte mit drei anderen Männern vollkommen unlogisch nach Westen. Zwei Tage später sträubten sie sich, Yokola zu folgen, weil sie das
Tier nie entdecken würden. Die drei blieben zurück und warteten, denn Yokola sagte ihnen, er sei nach einem halben Tag wieder zurück, und zwar mit dem Ren. So hat er dich gefunden
Alexander schaute nachdenklich zu Boden und stieß mit der Stiefelspitze in den Schnee. Nicht der Logik, sondern einem Schamanen und dessen Intuition verdankte er sein Leben.
Um Urnaks Mund war ein spöttischer Zug, als er Alexanders Nachdenklichkeit bemerkte. »Mir geht es wie dir. Ich glaube nicht an den Kult, aber warum soll ich mich wehren, wenn er hilft? Wenn Yokola seinem Volk hilft?«
Urnak führte weiter aus, dass Yokola noch ein gemäßigter Saman sei, der nur ab und zu seine Hilfsgeister anrufe, wenn es gelte, böse Geister, die Krankheiten und Leid verursachten, zu vertreiben. Andere Dörfer hätten unter ihren Wahrsagern zu leiden, die sich wie die Könige aufführten und immer nur hofiert werden wollten, obwohl deren Trefferquote, genauso drückte sich der Ewenke aus, weit niedriger läge als die von Yokola.
Alexander musste über diese Form der Erklärung lachen.
»Yokola selbst ist als Kind sehr krank gewesen.
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