Der König von Sibirien (German Edition)
zurückverfolgen, wo du gewesen bist, alles hat seine Ordnung. Bis auf die Fingerabdrucke. Aber die haben sie nur, wenn du .. äh ... wenn die Leiche straffällig geworden ist.«
»Und beim Militär. Dort werden sie dir auch abgenommen.«
»Da denkt niemand dran. Na, was ist? Fiktiver oder echter Name?«
Alexander gab vor, seinen Bekannten zu fragen. Boris akzeptierte. Aber egal was er möchte, allein der Ausweis und die anderen Dokumente kosteten zweihundert und nicht eine Kopeke weniger.
Geld spielte für Alexander keine Rolle. Er hatte noch genügend übrig von dem, was ihm der Lette Litvius gegeben hatte. Und als Holzfäller, Bergmann und Sägewerksarbeiter, der ständig das Plansoll übererfüllte, bekam er, einschließlich der Sibirienzulage, auch an die fünfhundert Rubel im Monat. Was ihn noch zögern ließ, war Boris Angebot, und zwar das mit dem echten Ausweis. Nicht, dass er einen solchen haben wollte. Bei ihm spielte es keine Rolle, denn seine Daten hatte man ohnehin registriert. Ihn erschütterte mehr, wie belanglos Boris vom Tod eines Mannes gesprochen hatte, den man nun mal für ein solch amtliches Dokument in Kauf nehmen müsse.
»Einen fiktiven Namen«, sagte Alexander zwei Tage später zu Boris. »Das genügt meinem Bekannten.«
»Gut, geht in Ordnung. Und wie willst du heißen?«
Mitte April ergab sich die Möglichkeit, mit einer Ladung Holz nach Oljokminsk an der Lena mitgenommen zu werden. Dort wartete Alexander, noch war der Strom wegen des Eises nicht passierbar. Anfang Mai tuckerte ein altes, wohl noch aus der Zarenzeit stammendes Schiff mit großem Schornstein die Lena und anschließend die Oljokma hinauf. Später fand Alexander Gelegenheit, nach Aldan zu fahren, hinein in das Stanovojgebirge. Er fragte sich nach Tynda durch, einem geplanten Stützpunkt der Baikal-Amur-Magistrale weiter im Süden. Zu Fuß und per Lkw erreichte er zwei Wochen später 20 Kilometer nördlich von Tynda und schon auf halbem Weg nach Lapri ein Materialdepot, zugleich auch ein Basislager der Baikal-Amur-Magistrale.
Alexander stellte sich der Bauleitung vor, wurde medizinisch untersucht, beantwortete alle Fragen nach seinen Verletzungen, Schienbeinbruch und Verlust der Zehen, ohne die näheren Umstände zu schildern. Er sei mit einem Landvermessertrupp unterwegs gewesen, habe diesen bei einem Schneesturm verloren und sei lange in der Kälte herumgeirrt, erklärte er. Dabei habe er sich das Bein gebrochen und die Erfrierungen eingehandelt. Alexanders Version klang glaubhaft, zumindest wollte keiner der Anwesenden Genaueres wissen. Der Arzt machte ihn darauf aufmerksam, dass er seinen linken Fuß weiter nach innen stellte als den rechten. Weil zwei Zehen fehlten und der große deshalb Mehrarbeit leisten müsse, um das Manko auszugleichen. Mit der Auflage, sich seine Zähne nachsehen zu lassen, das gehe auf Kosten des Staates, befand man ihn tauglich.
Der Einstellungsleiter, er trug seiner wichtigen Position entsprechend einen Anzug, ein weißes Hemd und eine Krawatte, schob Alexander einen Vertrag zu, und der unterschrieb als Kirjan Morosow. Er steckte seinen Ausweis wieder ein und machte sich auf den Weg zum Zahnarzt. Dort zeigte er seine Fanstellungspapiere, erhielt sofort einen Termin und verzichtete auf eine Spritze.
»Aber es wird weh tun, mein lieber Morosow.«
»Für jeden Schmerzenslaut zehn Rubel.«
Der Zahnarzt konnte sich an diesem Tag kein Zubrot verdienen. Mit fünf neu plombierten Zähnen verließ Alexander seine Praxis. Draußen vor der Für wischte er sich die schweißnassen Hände ab. Er hatte keinen Ton von sich gegeben und sich wieder mal, wie so oft, vor sich selbst bewiesen. Warum er diese ständigen seltsamen Bestätigungen brauchte, konnte er sich nicht erklären. Irgendwie kam es ihm vor, dass er durch neue Schmerzen stets an die in den Straflagern erinnert werden wollte, um diese unter keinen Umständen zu vergessen.
Alexander quartierte sich in einem Holzgebäude ein. Alle Häuser waren rechteckig und langgestreckt gebaut, im Grunde genommen nichts anderes als Baracken. Aber immer noch wesentlich komfortabler als die vielen Unterkünfte, die er bisher gesehen halte.
An den meisten Streckenabschnitten und Neubauvorhaben, so wurde ihm erzählt, hausten die Arbeiter in Zelten. Bis zu zwanzig Mann pro Zelt, und das auch im Winter. Keine Toiletten, kein Waschraum, nichts. Oder in alten Waggons, die einfach in der Landschaft abgestellt wurden, möglichst nahe an der geplanten
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