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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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unauffindbar wie so vieles in dem unergründlichen Land.
    »Wahrscheinlich wieder die Gruka«, meinte ein Beamter und schrieb das in seinen Bericht. Ihm war die Erleichterung anzusehen, mit der mafiaähnlichen Organisation, die man für viele Diebstähle und Schiebereien verantwortlich machte, einen Schuldigen gefunden und den Fall abgeschlossen zu haben. Wenn in Zukunft wieder mal was organisiert werden musste und dafür etwas anderes fehlte, das kam schon mal vor, immer war es die Gruka, die nun auch in diesem Streckenabschnitt ihr Unwesen trieb.
    Die Brückenpfeiler wurden im Herbst und bei Frost mit einer Schnelligkeit hochgezogen, die man bisher nicht gekannt hatte. Gut vier Monate Tag man vor dem Zeitplan, und die Schläuche reichten noch für mindestens zwei weitere Bauwerke der gleichen Größenordnung.
    Wenige Tage später konnte Alexander in der »Bahn-Zeitung« nachlesen, dass zwei Ingenieure mit dem Orden der Arbeit zweiter Klasse ausgezeichnet worden waren. Weil sie eine neue revolutionäre Methode entwickelt hatten, in Kälteregionen den Beton schneller zum Abbinden zu bringen.

    Die Arbeiter und Arbeiterinnen in den Camps kamen sich wie auf einer Insel vor, weit abgeschieden von der übrigen Zivilisation, und fühlten sich obendrein durch das Klima benachteiligt. Aber Menschen, die unter extremen Bedingungen zu arbeiten haben, wollen sich auch auf extreme, zumindest jedoch auf lohnenswerte Art und Weise entspannen. Weil dazu keine Möglichkeit bestand, glich Station 22 manchmal einem Pulverfaß; das Aggressionspotential nahm stetig zu und suchte wegen der Monotonie nach einem Ventil.
    Oft war eine Frau im Spiel, um die gebuhlt wurde, denn die gesuchten Geschöpfe verstanden es vorzüglich, den Männerüberschuss zu ihren Gunsten auszunutzen. Schnell flogen wegen Kleinigkeiten die Fäuste, Messer wurden gezückt, Kollegen in der Nacht überfallen, zusammengeschlagen und Geld oder Armbanduhr geraubt.
    Unfälle wegen Fahrlässigkeit und Schlamperei, die hätten verhindert werden können, gab es zuhauf und nicht zuletzt, um einem Rivalen etwas heimzuzahlen. Es war Sabotage, wenn plötzlich die Bremsen eines Fahrzeuges versagten und man nachher feststellte, dass sich jemand an ihnen zu schaffen gemacht hatte. Oder während der Nacht das Dach einer ganz bestimmten Unterkunft einstürzte und eine ganz bestimmte Person zu Schaden kam, weil vorher an den Balken gesägt worden war.
    Gerüchte wurden verbreitet, Diebstähle und kleiner illegaler Handel waren an der Tagesordnung, und die Obrigkeit dachte sich Schikanen aus, um das Plansoll zu erhöhen und dadurch die Prämie zu sparen. Aber mit all dem konnten die harten Männer und Frauen noch leben, weil sie etwas anderes vereinte, das gemeinsame Schicksal, ihr Ziel: die Bahn. Und die Perspektive, nach einigen Jahren des sibirischen Eiskellers weiter im Westen, wie vom Staat versprochen, ein angenehmeres Leben fuhren zu können.
    Von allen gehasst und zugleich gefürchtet waren die Spitzel und Zuträger, eine über das ganze riesige Land verbreitete Seuche, die meist im Auftrag des KGB die kleinen alltäglichen Unregelmäßigkeiten und privaten Geschäfte weitermeldeten. Wenn man sie aufspürte, dann wurden sie zumindest grün und blau geschlagen, manche fanden sich auch in einem Krankenhaus wieder oder landeten, in besonders schlimmen Fällen, auf dem Friedhof.
    Leonid eröffnete Alexander, in der Nachbarbrigade gebe es ein Ohr, aber noch wisse man nicht, um wen es sich handele. Als Folge sei ein Lagerist wegen Benzinschieberei verhaftet worden.
    »Dabei hat er einen Engpass für viele stillstehende Maschinen beseitigt«, erboste sich der schnauzbärtige Brigadier, ohne zu bedenken, dass dafür anderenorts aus dem gleichen Grund Maschinen womöglich nicht hatten betrieben werden können. »Verschiebt für den Staat und im Interesse des Staates und wird von ihm zur Belohnung auch noch verurteilt.«
    Alexander beruhigte sich wieder, auf ihn hatte man es ja nicht abgesehen. »Was geschieht mit dem Kerl, wenn sie ihn enttarnen?«
    Leonid sah Alexander lange an. »Und das fragst ausgerechnet du?«
    Gezielt wurde die Information gestreut, dass zwei Arbeiter einige Lkw-Ladungen mit Zement gegen Fernseher und Radioapparate einzutauschen beabsichtigten, die auf dem Schwarzmarkt bei sofortiger Lieferung zu einem horrenden Preis abgesetzt werden konnten. Um den Spitzel nicht misstrauisch werden zu lassen, bereitete man die Aktion so geschickt vor, dass sie von einer

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